Alexander Kluge zum 75. Geburtstag

Von Oliver Rahayel | Quelle Goethe-Institut, Online-Redaktion | | Presse

Er hat den Neuen Deutschen Film mit aus der Taufe gehoben, bereichert das Privatfernsehen seit zwanzig Jahren mit einzigartigen kulturellen Fensterprogrammen, tritt als chronistischer Erzähler sowie Theoretiker in Erscheinung – und versucht stets, diese Darstellungsformen miteinander zu verbinden.

Nach seiner Promotion in Recht 1956 wandte Kluge sich, angespornt von seinem Professor Theodor W. Adorno, dem Film zu und assistierte der Regielegende Fritz Lang. Im Jahre 1962 erschienen sowohl Kluges erster Prosaband Lebensläufe als auch das Oberhausener Manifest. In dieser kurzen Mitteilung erklärten 24 junge Filmemacher wie Kluge, Edgar Reitz und der Initiator Haro Senft anlässlich der Oberhausener Kurzfilmtage den „konventionellen deutschen Film“ für tot. Dieses Ereignis gilt bis heute als Startschuss für das deutsche Autorenkino, das, besonders unter dem Eindruck der französischen Nouvelle Vague, mit dem eskapistischen Nachkriegskino zu brechen suchte.

Gesellschaft und Zeitgeschichte als beherrschende Themen

Abschied

Zwei Filme, beide bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet, bildeten schon früh eines der wichtigen Themen in Kluges Schaffen ab: Abschied von gestern und Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos zeigen, wie sich eine weibliche Hauptfigur in einer abweisenden, konservativen Gesellschaft zu behaupten versucht. Dieses Thema taucht auch in den späteren Werken Kluges auf. Formal arbeitet Kluge hier bereits mit Fragmenten aus verschiedenen Medien. Er selbst hat seine Werke mit Baustellen verglichen, um sie vom Begriff des auratischen, perfekten Kunstwerks abzusetzen.

Ein zweites Thema, das Kluge immer wieder untersucht, ist der Zweite Weltkrieg, sowohl in den Filmen als auch in der Literatur. Darüber hinaus befasst er sich mit deutscher Zeitgeschichte im Allgemeinen, ebenfalls sowohl im Kino als auch in seiner Prosa, die Kluge zum Teil als Vorlage für die Filme verwendete und parallel veröffentlichte.

 

Artisten

Bei den fiktiven, reflektierenden Filmen bedient er sich verschiedener Stilelemente, auch des Genrekinos. Oft wählt er aber die dokumentarische Form, besonders, wenn er sich an aktuellen politischen Debatten beteiligt. Deutschland im Herbst etwa, ein Omnibusfilm führender deutscher Autorenfilmer, behandelt 1977 die Hysterie um den deutschen Linksterrorismus der RAF auf ihrem Höhepunkt. Der Kandidat, 1980, befasst sich kritisch mit dem damaligen CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß, und Krieg und Frieden, 1982 ebenfalls in einem Regiekollektiv entstanden, mit der Nachrüstung der NATO.

Literat, Filmtheoretiker und Publizist

 

Chronik

Auch in seinen lyrischen und prosaischen Veröffentlichungen findet sich das fragmentarische, essayistische und reflexive Vorgehen seiner Filme, so in Neue Geschichten. Hefte 1-18 (1977) oder im umfangreichen Spätwerk Chronik der Gefühle aus dem Jahr 2000, das alte und neue Texte vereint. Neben seiner literarischen Arbeit hat Kluge auch filmtheoretische Schriften veröffentlicht sowie, zusammen mit dem Soziologen Oskar Negt, gesellschaftsanalytische Werke.

Kluge hat sich schon früh an medienpolitischen Weichenstellungen beteiligt. Nach dem Oberhausener Manifest gehörte er zu den Gründern des Kuratoriums Junger Deutscher Film, der ersten erfolgsunabhängigen Filmförderung in Deutschland. Bedeutend war auch seine Mitarbeit am Film-/Fernseh-Rahmenabkommen von 1974, das den Filmemachern die Ausstrahlung ihrer Werke im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und auch eine Co-Finanzierung der Filme zusicherte. Außerdem ist auf seine Initiative hin das Institut für Filmgestaltung in Ulm gegründet worden, die erste deutsche Ausbildungsstätte für Film.

Fernsehpräsens

Wesentlich ist auch Kluges Beitrag zum kulturellen Gehalt des deutschen Fernsehens. Sein Einstieg ins Fernsehgeschäft fällt ausgerechnet mit der Etablierung des Privatfernsehens in Deutschland zusammen. Ihm gelang es, den Rundfunkstaatsvertrag dahingehend mit zu beeinflussen, dass die kommerziellen Sender Nischenprogramme dritter Anbieter zulassen mussten. Kluge besetzte daraufhin ab 1988 einige dieser Nischen mit der von ihm gegründeten Produktionsfirma dctp.

Die Firma mit Sitz in Düsseldorf produziert seither Reportageformate wie Spiegel TV, Stern TV und Süddeutsche Zeitung TV, aber auch eigenwillige Magazine wie News & Stories, 10 vor 11 und Prime Time, die zum Teil nur aus Gesprächen zwischen Kluge und einem Gast bestehen, in einer einzigen Einstellung aufgenommen, angereichert und verfremdet durch Bild- und Toncollagen. Manchmal ist dieser Gast sogar ein Darsteller, etwa der Produzent Peter Berling, der fiktive Figuren der Zeitgeschichte improvisierend spielt.

DVD-Edition

Wie kaum ein zweiter Künstler oder Intellektueller in Deutschland setzt Alexander Kluge gleichermaßen in Film, Fernsehen und Literatur seit vielen Jahren entscheidende Impulse. Er hat das kulturelle Geschehen in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitbestimmt. Am 14. Februar 2007 wurde er 75 Jahre alt. Zu diesem Anlass haben das Filmmuseum München und das Goethe-Institut erstmals eine DVD-Edition mit Kino- und Kurzfilmen herausgegeben, ergänzt durch ausgewählte Fernseharbeiten und Texte.

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