Trauerrede auf Günter Gaus

Er war stolz darauf, zu den Jahrgängen zu gehören, die zwischen 1927 und 1934 geboren sind. Das sind die sogenannten "Weißen Jahrgänge". Sie lebten in einer Zeitgeschichte mit extremen Kontrasten. Bitteren und auch glücklichen. Günter Gaus war der Ansicht, dass die Erfahrung dieser Generation, eine des "alten Europa", so nicht wiederkehren wird.

1929 geboren, d.h. bei der Gründung unserer Republik ist er ein junger Mann. 1979, im Jahr des Deutschen Herbstes, ist er "ein Mann von 50 Jahren". Schon vorher, 1965, hat er geheiratet. Ein Leben in einer vorwärtsdrängenden Zeitgeschichte. Günter Gaus war immer neugierig und ihn faszinierte stets die Geschichte.

Er hat sehr verschiedene, tiefgreifende Wurzeln. In der Umgebung Braunschweigs, der Stadt, in der Günter Gaus geboren wurde, lebte ein älterer Geist, bekannt für seine Neigung zum Spott: Till Eulenspiegel. Das ist eine Wurzel, die bis zu den Bauernkriegen zurückreicht. Das Land, zu dem Braunschweig gehört, war ein Königreich, das dem preußischen Großmachtstreben unterlag. Lebenslänglich fühlte sich Günter Gaus als ein Patriot auch dieses untergegangen Landes. Zugleich steckte in ihm viel von den preußischen Reformern nach 1807, die nach den Befreiungskriegen in der Minderheit blieben. Aus solchen verschiedenartigen Impulsen ist ein Mann zusammen gesetzt, der die Erfahrung von 300 Jahren seines Landes in seinem Herzen trägt und mit der Aktualität verbindet. Es ist immer ein Quantum Ernst und eine Neigung zum Witz damit verknüpft.

Günter Gaus ist Autor. Er schreibt an literarischen Texten. Zuletzt an seiner Biografie. Zugleich ist er Publizist, ein "Öffentlichkeitsmacher".

Die klassische Öffentlichkeit, wie sie im Grundgesetz verankert ist, ist ihm ein besonders hohes Gut. Es ist die Allmende, das was allen gehört und was, so Günter Gaus, auf keinen Fall einem oder wenigen Einzelunternehmen, überhaupt keinem Einzelnen, gehören soll. Öffentlichkeit ist die Vorbedingung jeder authentischen Politik und eine Voraussetzung für Lebenserfahrung. Wie bei frischer Luft, sagt er, bemerkt man die Öffentlichkeit erst dann, wenn sie fehlt.

Im Jahr 1984, er ist 55 Jahre alt werden die Weichen gestellt für die Einführung des privaten Fernsehens in der Bundesrepublik. In diesem Jahr hielt Günter Gaus auf den MAINZER TAGEN DER FERNSEHKRITIK einen Vortrag: Die überwältigten Macher - Fernsehjournalismus und politische Kultur.

Man kann bei ihm zeitlebens eine gleich bleibende Haltung erkennen, das war er "eine Gesinnung" nennt. Sie ist skeptisch, konservativ, aber nie affirmativ skeptisch. Aus Skepsis lässt sie immer auch einen Hoffnungsfunken übrig. Wie er sagt: "Um meinen Pinscher mit Namen Kulturpessimismus im vollen Licht der Straßenlaterne Gassi zu führen."

So blickt er auch auf das Leitmedium Fernsehen.

Er kleidet seine Kritik in ein Beispiel, das den Unterschied zwischen unmittelbarer Erfahrung, die man fürs Leben braucht, und mittelbarer Erfahrung, wie sie das Fernesehen verbreitet, beschreibt: An dem Strand eines südlichen Landes, erzählt er, sonnen sich Menschen. Das karge Hinterland des Ferienziels mit seinen sozialen Fragen kennen sie aus Videos. Jetzt meinen sie, dass sie Bescheid wüssten. Dieser Schwund unmittelbarer Erfahrung und die Dominanz mittelbarer Erfahrung, das, sagt Günter Gaus, ist der eigentliche Gegner der klassischen Öffentlichkeit. Mit ihm gilt es zu ringen.

Die Sendung "Zur Person" lag Günter Gaus unter dem Vielen, was er gemacht hat, besonders am Herzen. Die Sogwirkung dieser Sendung kommt aus ihrer Unmittelbarkeit. Da sitzt ein Neugieriger, Unbestechlicher und fragt. Er fragt durch alle Zeiten. Die Sendung begann am 10.4.1963. Mit Ludwig Erhard, Edward Teller, Wehner, Brandt, Abs, Golo Mann, Strauss, Guttenberg. Die 100. Sendung wurde im Jahr 2001 ausgestrahlt. Er hat bis zuletzt für "Zur Person" gearbeitet. Wie im Zeitraffer zeigt die Sendung durch die Befragung konkreter Personen 40 Jahre mitteleuropäischer Geschichte. Versuchte einer der Befragten zu beschönigen oder zu schwindeln, konnte Günter Gaus insistent werden. Trat bei einem Menschen die Schwäche des alten Adam zutage, fand er im Frager ein freundliches Gegenüber. Der Hintergrund der Szene ist schwarz ausgekleidet. Vom Frager nur der Hinterkopf. Keine Ablenkung. "Mehr Sein als Scheinen". Eine Dreiviertelstunde unmittelbarer Konzentration, wie sie dem Medium von sich aus selten gelingt.

Wir werden einen Mann dieser Art, dieses Charakters, dieser Beharrlichkeit und auch dieser Fähigkeit zum Spott im richtigen Moment, nicht wieder bekommen.

Viele von uns trauern um einen Freund. Auch um einen Weggefährten, auch um ein Vorbild. Er fehlt uns. Nicht nur als Publizist. Aber als Publizist auch.

Günter Gaus hat sich für die Öffentlichkeit in Deutschland verdient gemacht.

von Alexander Kluge