Zum Tod von Norbert Kückelmann

Am 31. August 2017 starb der Rechtsanwalt, Buchautor und Filmemacher Norbert Kückelmann, geboren 1930, nach langer Krankheit. Mit ihm und anderen zusammen haben wir das Kuratorium Junger Deutscher Film gegründet. Auf dem Foto vom 1. September 2015 ist er mit Edgar Reitz und mir in seiner Wohnung in der Friedrichstraße in München zu sehen. Er fehlt uns.

Der Sog des Bösen

E-Mail-Austausch zwischen Hannelore Hoger und Thomas Combrink zu Norbert Kückelmanns Roman Robert K., erschienen 2013 im belleville Verlag in München.

20.10.2013, 17.50 Uhr

Lieber Herr Combrink, 

ich habe von Kückelmanns Buch Robert K. bislang 100 Seiten gelesen. Ist das eine wahre Geschichte oder eine von Kückelmann nachempfundene? Geht es um die Sache in Frankfurt (von Metzler) und den Richter, der Folter angedroht  hat? Geht es um einen Prototyp? Den Killer in Norwegen (Breivik)? Oder um die allgemeine Frage, wie Hass und Gewalt entstehen und Rache ohne Mitleid. 

Herzlichen Gruß 

Hannelore Hoger

21.10.2013, 22.57 Uhr

Liebe Frau Hoger,

Norbert Kückelmann hat als Strafverteidiger gearbeitet, es handelt sich um eine Mischung aus eigener Aktenkenntnis und bekannten Fällen. Das Buch von Ferdinand von Schirach, Tabu, hat mir übrigens gut gefallen, vor allem, weil der Fall von einem Künstler inszeniert ist, aber ebenfalls biographische Tiefenschichten freigelegt werden. Ich habe jetzt die Aufnahmen gesehen, die Sie letztens mit Herrn Kluge in München gemacht haben. Da sind schöne Sachen entstanden, die Gorillaforscherin, aber auch die Napoleondarstellerin.

Herzlich: Thomas Combrink

22.10.2013, 10.30 Uhr

Lieber Herr Combrink, 

hier nun einige Vorschläge: „Doch die Verhältnisse sie sind nicht so. Getarnt als Verrückter, von aufkeimender Erkenntnis getrieben (Wissen ist Macht) hasst sich Robert K. durch die Folterkammern unserer Zeit. Um nicht zu ersticken, verschafft er sich auf sehr eigene Weise frische Luft zum Atmen. Er spielt verkehrte Welt und wird sozusagen ein Elefant der inneren Befreiung. Kohlhaasen dieser verkommenen Erde vereinigt euch!“ Oder: „Ein Sittendrama für Außerirdische. Gewalt ist tätig.“ Oder: „Das irrwitzige Höllengelächter eines Geschändeten. Verrückt und trotzdem nicht daneben.“ Oder: „Die unbezwingbare Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung treibt Robert K. in einen Höllenstrudel der Verzweiflung ohne Entrinnen!“ Oder: „Robert K., aus armen Verhältnissen kommend, geschlagen mit Intelligenz und Wissbegierde und der unbezwinglichen Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung scheitert an der sinnentleerten Dumpfheit und dem Stumpfsinn einer vom Geld besessenen Gesellschaft.“

Ich habe erst die erste Hälfte gelesen, lese aber weiter, denn auch ich bin von unbezwinglicher Neugierde getrieben. Ich bin nämlich mal mit Kückelmann im Sportwagen durch die Gegend gerast, gefährlich nah am Unfall. Als ich mir später ein Eis erbat, wurde ich von Alexander Kluge mit einem Blick gerügt, weil er das für eine Kleinmädchengeste hielt. Das Eis (ich mag immer noch Karamel) hat trotzdem geschmeckt. Die Schwester von Kückelmann, genannt Kücki, ist aus unglücklicher Liebe zu meinem damaligen Lieblingsschauspieler Oscar Werner, aus dem Fenster gesprungen. 

Ich will nur kurz sagen und nicht ins Plaudern kommen: Ich habe gelernt, dass Hannibal (also nicht Handball) nicht etwa von seinen Elefanten zertrampelt, sondern am Geschwätz der Marktfrauen zugrunde ging. 

So das wär‘s für heute, muss noch Text lernen und die Sonne über Lissabon hat heute keinen Bock zu scheinen. 

Es grüßt Hannelore Hoger

24.10.2013, 13.42 Uhr

Lieber Herr Combrink, 

was halten Sie davon:

„Welch verheerende Folgen Demütigung und Folter, physischer und psychischer Art, in einem empfindsamen Menschen anrichten können, hat Norbert Kückelmann in seinem Briefroman Robert K. eindringlich und spannend beschrieben. 

Jean Améry, der in Belgien als Mitglied der Résistance von Nazis gefoltert wurde, begründet in seinem Buch Hand an sich legen, warum er 20 Jahre später Selbstmord beging. Als Akt der persönlichen Freiheit. Erschütternd.“

Mit freundlichem Gruß

Hannelore Hoger

25.10.2013, 8.36 Uhr

Liebe Frau Hoger,

bitte entschuldigen Sie die späte Antwort, ich habe die Woche über mit Herrn Kluge noch an der Begleitbroschüre für die Ausstellung (und das Theaterstück) in Halberstadt gearbeitet. Die Ausstellung eröffnet ja bereits am 10. November. – Der Vergleich mit Jean Améry ist natürlich interessant, wobei die Differenz zwischen dem Unrechtssystem des Nationalsozialismus und der Rechtsordnung der Bundesrepublik bezüglich von Folter entscheidend ist. Mir hat der offene Schluss des Buches gefallen. Wenn also vom letzten Gedanken Sennfelders in dieser Nacht die Rede ist, heißt das, dass auch er umgebracht wird? Andererseits hat er noch eine Kugel im Revolver. 

Würde man Kückelmann mit Alexander Kluge vergleichen wollen, dann unter der Perspektive des Lebenslaufes. Und die Lebensbahn von Robert K. ist, was mir ebenfalls gut gefallen hat, soziologisch grundiert. Es handelt sich um Milieustudien, die Münchner upper class, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der thüringischen Kleinstadt P., vielleicht auch die Beschreibungen aus Südamerika. Robert K. will aufsteigen, will raus aus den ärmlichen Verhältnissen des Elternhauses. Und dieser Aufstiegsdrang drückt sich vor allem über Liebesbeziehungen aus, meistens sind es Frauen, die für Robert K. das bessere, das erfolgreiche Leben darstellen, eine Welt, in die er eintreten möchte. 

Dabei sind die Anspielungen auf Filme deutlich zu erkennen. Das Verhältnis zwischen Robert K. und der Stiefmutter seines Freundes Erik Körner erinnert an die Reifeprüfung mit Dustin Hoffman. (Scheinbar ist Kückelmann ein Fan von Dustin Hoffman, denn die Entführung des kleinen Mädchens und die damit verbundene Verkleidung von Robert K. als Frau spielt ja irgendwie auch auf Tootsie an). 

Mich hat übrigens, ehrlich gesagt, erstaunt, wie Kückelmann sich in die Sprache und die Lebenswelt der 20- bzw. 30jährigen hineindenken konnte. Er selbst ist ja in einer ganz anderen Lebenssituation. Aber die Leistung des Buches liegt sicher in der Ambivalenz der Darstellung, dass also der Leser sich fragt, ob Robert K. nun vielleicht doch eher ein Opfer (des Rechtssystems, der gesellschaftlichen Verhältnisse) oder nur ein grausamer Täter ist. Und das Buch scheint eine Mischung zu sein, aus bekannten Kriminalfällen (Jakob von Metzler, die Entführung des Kindes, die Folter) und Kückelmanns eigenen Erfahrungen als Strafverteidiger. Geschickt gemacht ist ebenfalls die Verwendung des Doppelgängermotivs, Robert Kröner und Erik Körner, wie sich diese Lebensläufe miteinander vermischen, das Spiel mit den Identitäten, mit dem der Autor schon auf dem Titelblatt des Buches arbeitet: Norbert K., Robert K. 

Herzlich: Thomas Combrink

25.10.2013, 11.40 Uhr

Lieber Herr Combrink, 

für mich haben Sie jetzt eher nur eine Kerze als Licht in das Dunkel gebracht. Ich habe den Eindruck, daß Kückelmann sich seinen Hass und seine Wut auf den gesamten Berufsstand und das System (als Verteidiger nicht als Richter) von der Seele schreiben mußte, um nicht zu ersticken. Außerdem arbeitet er ja nicht mehr und hat endlich Zeit!! Kluge ist aus gutem Grund nicht in die Fußstapfen seines Stiefvaters getreten und weder zum Richter noch zum Rächer geworden. 

Zwei Schilderungen halte ich für sehr gelungen: das letzte Kapitel und die Beschreibung der mißglückten Entführung von Penny. Ich finde nicht, daß Kückelmann sich sprachlich in die damalige Jugend einfühlt, wohl aber in die Äußerlichkeiten von Glück durch Geld oder Besitz. In der Psychologie und Psychiatrie gibt es viele verschiedene Theorien, z. B. daß ein Mensch (wie in diesem Werk), der schwere negative Erfahrungen gemacht hat, gefährdeter ist als andere und eher kriminell wird. In der amerikanischen Literatur gibt es außerdem große Beispiele dafür. Robert K. wirkt auf mich nicht wie eine echte Person, sondern wie eine zusammengesetzte Kunstfigur. Es fällt mir trotzdem schwer, dafür eine schmissige Zusammenfassung zu finden. Vielleicht ist es der SOG DES BÖSEN?  Den zu überwinden wäre eine Kulturleistung, die es zu erbringen gilt. 

Ich grüße ergebenst 

Hannelore Hoger

25.10.2013, 14.13 Uhr

Liebe Frau Hoger, 

ja, das stimmt, die Schilderung der Entführung von Penny hat mir auch gefallen, weil die Ursache des Todes nicht eindeutig war und zum Schluss herauskam, dass es kein Mord, sondern ein Unfall war – ähnlich wie bei dem Tod von Erik Körner, der ebenfalls ertrunken ist. Aber ob Kückelmann nun gegen seinen Berufsstand anschreibt, wage ich, ehrlich gesagt, zu bezweifeln. Kückelmann zeigt in dem Buch gut auf, wie gegensätzliche Impulse in einem Menschen nebeneinander existieren können, einerseits Intelligenz und Sensibilität, andererseits Empathielosigkeit und Brutalität.

Herzlich 

Thomas Combrink

25.10.2013, 22.33 Uhr

Lieber Herr Combrink,

nicht gegen seinen Berufsstand richtet sich das Buch. Strafverteidiger sind ja die wichtigsten Personen im Bereich des Rechts. Ich meinte die Abhängigkeit der Betroffenen von dem ganzen System (Richtern, Auslegungen, Paragraphen etc.), wenn also zum Beispiel mittellose Menschen in die Fänge der Justiz oder Psychiatrie geraten. Und das ist natürlich Kückelmanns Anliegen, deswegen hat er das Buch ja wohl geschrieben: als Verteidiger mit Charakter. 

Gruß 

Hannelore Hoger