was liest ….kathrin röggla?

Von kathrin röggla | Quelle literaturen 5/06: was liest ….kathrin röggla? | | Texte

„danach hat sie die wut nicht mehr zur verfügung. die hab’ ich mir „abgedacht“.“ dieser satz ist es, der mich beim blättern wieder zur lektüre bringt. wie oft schon hat man seine wut abgedacht, weggeredet, am falschen ort angebracht, hat nicht reagiert, nicht zum entscheidenenden zeitpunkt. hier ist es eine hausfrau, die sich ihre wut auf ihren ehemann abgedacht hat. es ist eine „unbezahlte knochenarbeit“, genau wie die des verbrecherpärchens roswitha und franz bronski, die den mord an einem jugoslawischen geschäftsmann, an dem sie unbeteiligt waren, rückgängig machen können, weil in dem toten noch „ein funken leben“ steckt. der sachlich knappe ton, der seine verbindung zu marxistischer diktion und romantischer bildlichkeit gleichermaßen hält, tritt in eine groteske konstellation zum krimigenre und stellt das strukturelle gewaltverhältnis der dinge, den gesellschaftlichen zusammenhang ins licht, er wird zur kenntlichkeit entstellt, aber auf tiefgründigere weise als karl kraus meinte. das schöne daran ist, dass alexander kluges „gelegenheitsarbeiten einer sklavin“ von 1975 mit einem ausgangsinteresse und fünf treatments beginnt. fünf treatments, die ein film werden sollen, denen drei drehbuchentwürfe folgen. so wird letztlich das eigentliche drehbuch, dem wiederum eine reihe von kommentaren nachgeordnet sind, beinahe überwuchert vom unverfilmten, dem imaginationsraum, aber auch von seinem gesellschaftlichen und historischen kontext, den bedingungen. das ganze buch ist im provisorischen justiert, doch was wir erhalten, ist nicht nur die vorstellung davon, wie ein film gedanklich entsteht, sondern auch ein dichtes literarisches gewebe, ein hybrider textkörper, der immer das fehlende medium evoziert, sozusagen nie fertig ist, aber bewußt in einer vorgängigkeit bleibt, weil er weiss, dass abgeschlossenheit unsere imaginationskraft einseitig bindet und faktizität die welt nicht erzählen kann.

einer der kommentare trägt den titel „die schärfste ideologie: dass sich die realität auf ihren realistischen charakter beruft“ – ein programmatischer text zum realismus, den man den fakten-fakten-fakten-rufen unserer tage entgegenhalten möchte. hier wird nochmal explizit formuliert, dass die realität nicht als aneinanderreihung von schicksalshaft sich ereignenden oder naturhaft erscheinenden tatsachen funktioniert, sondern gemacht wird, in einem zusammenhang steht, wünsche und protest in sie eingehen, auch die abgedachte wut. zugleich gibt es kein eins-zu-eins-abbildungsverhältnis dieser realität im text oder film. „das motiv für realismus ist nie bestätigung, sondern protest“, mit diesem satz war schon damals nicht die arbeiterklasse oder ein etwaig verlorengegangenes revolutionäres subjekt gemeint, sondern ein notwendiges verschiebungsmoment, das immer in das übersetzungsverhältnis von welt und text eingeht. denn verhält man sich scheinbar harmonisch, muss man den „realismus der sinne“ zerstört haben. in sentiment und kitsch, in der scheinharmonie steckt das gewaltverhältnis der abgedachten wut, die sich gegen die eigenen sinne wendet. und das hat sich nicht geändert, bloss weil man diese diktion in zeiten des mainstreams und der affirmationsdiffusität als überdeutlich empfinden mag und vokabel wie „protest“ und „ideologie“, in mancher hinsicht zurecht, aus dem eigenen wortschatz verbannt hat. vielleicht wäre es ja auch an der zeit, sie da wieder reinzuholen?

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