Dialoge mit Zuschauern

Von Christian Schulte | Quelle Medienkultur der 70er Jahre, hg. von Irmela Schneider u.a., Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004 | | Texte

Alexander Kluges Modell einer kommunizierenden Öffentlichkeit

"Irgendwann einmal wächst dies zusammen: Die Liebe zur Sache, die Romane und die Fernsehtechnik." Dieser Satz aus Alexander Kluges Film Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968) wirkt in der Rückschau wie die prophetische Ankündigung dessen, was der Schriftsteller und Filmemacher gut zwei Jahrzehnte später realisieren sollte: die Etablierung eines unabhängigen Fernsehens der Autoren. Die ungewöhnlichen Kulturprogramme, die seit Mai 1988 allwöchentlich zu sehen sind, schienen auch eine späte Konsequenz jener Kritik zu sein, die Kluge gemeinsam mit dem Soziologen Oskar Negt 1972 in dem Buch Öffentlichkeit und Erfahrung - einem Basistext der Neuen Linken - an den Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten geübt hatte. Es war, als sollte auf die dort formulierte Feststellung "Produkte lassen sich wirksam nur durch Gegenprodukte widerlegen" nun endlich die Probe gemacht werden. Doch 1972 stand die Gründung der DCTP/Entwicklungsgesellschaft für Fernsehprogramm, die 1987 erfolgte, noch in weiter Ferne, und Kluge hatte - bis Mitte der achtziger Jahre - alles andere im Sinn, als Sendeplätze im Leitmedium Fernsehen zu erobern. Sein Interesse galt dem deutschen Autorenfilm, dem er als Regisseur mit Abschied von gestern 1966 auch international zum Durchbruch verholfen und als Lobbyist in Kooperation mit anderen seit der Proklamation des sogenannten Oberhausener Manifests (1962) nach und nach - und gegen zahlreiche Widerstände - die notwendigen Organisationsbedingungen erkämpft hatte. Dazu gehörte die Gründung der ersten Ausbildungsstätte für Film in Deutschland - des Ulmer Instituts für Filmgestaltung, dessen Leitung er mit Edgar Reitz übernahm -, die die Entstehung weiterer Film- und Fernsehakademien in Berlin und München zur Folge hatte; dazu gehörte 1965 die Einrichtung einer gezielten Nachwuchsförderung, das Kuratorium Junger Deutscher Film, dem von der damaligen Bundesregierung ein Etat zur Herstellung von zehn Spielfilmen - darunter Kluges erster Langfilm - zur Verfügung gestellt wurde und schließlich das Film-/Fernseh-Rahmenabkommen von 1974, das Koproduktionen ermöglichte und ohne das in den folgenden Jahren kaum ein Film von Fassbinder, Herzog, Wenders und anderen zustandegekommen wäre.
Zielten diese Initiativen vor allem darauf, dem Autorenfilm eine wirtschaftliche und qualitative Basis zu schaffen, so erfolgte Kluges Wechsel zum Fernsehen in den achtziger Jahren nicht zuletzt unter dem Druck der restriktiven Filmpolitik, wie sie seit Beginn der Ära Kohl vom damaligen Innenminister Zimmermann - nach dem Motto: "Der Steuerzahler will nicht provoziert, der möchte unterhalten werden" - betrieben wurde. Die geistig-moralische Wende machte auch vor der Filmpolitik nicht halt: ästhetisch radikale und gesellschaftskritische Filme, die doch dem deutschen Film in den siebziger Jahren internationale Geltung verschafft hatten, mußten zunehmend den Klamaukstreifen der sich formierenden Spaßgesellschaft weichen. Die mühsam erkämpften Regulative, die die ungehemmte Durchsetzung reiner Kapitalinteressen eine Zeitlang begrenzt hatten, wurden innerhalb kürzester Zeit wieder abgebaut. Auch wenn Kluge noch bis 1986 Filme fürs Kino produzierte, markiert - aus heutiger Sicht - der Skandal um Herbert Achternbuschs Das Gespenst und der Tod Rainer Werner Fassbinders 1982 das Ende einer Epoche; auch die Veröffentlichung der kollektiv erarbeiteten und von Kluge herausgegebenen Bestandsaufnahme: Utopie Film wirkte bereits wenige Jahre nach ihrem Erscheinen wie ein Nekrolog. Daß es dem Filmemacher gelang, im Fernsehen eine unabhängige Nische zu besetzen, war das Ergebnis einer Entwicklung, die sich seit Mitte der siebziger Jahre angebahnt und zahlreiche Kontroversen durchlaufen hatte: die Einführung des kommerziellen Rundfunks, des sogenannten dualen Systems.
Doch bevor ich auf Kluges Interventionen, die diese Entwicklung begleiteten, seinen Medienwechsel und auf Besonderheiten seiner Fernseharbeiten näher eingehe, möchte ich zunächst den schon erwähnten Qualitätsaspekt erörtern, der für Kluge von Beginn an eng mit einem aufklärerischen Realismuskonzept, einem emanzipatorischen Verständnis von Öffentlichkeit und einem emphatischen Begriff des Faktors Zuschauer verbunden war. Dazu beziehe ich mich vor allem auf seine theoretischen Äußerungen zum Film, die - gewiß unter veränderten Vorzeichen - auch für das Verständnis seiner Fernseharbeit grundlegend sind. So wie das medienpolitische Engagement Kluges die pragmatische - und von seiner juristischen Ausbildung profitierende - Dimension seines Filmschaffens bildet, so sind seine zahlreichen theoretischen Kommentare als genuine Ausdrucksform eines Autors zu verstehen, der seine frühesten intellektuellen Prägungen durch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule erhielt und der von dieser Wurzel ausgehend ein unablässig weiterwachsendes und sich in verschiedenen Medien und Formen (Literatur, Film, Fernsehen, Theorie, Interview) artikulierendes work in progress entwickelt hat, das im großen Maßstab als utopisches Modell einer kommunizierenden Öffentlichkeit beschrieben werden kann.


Die Utopie Film

Blenden wir zurück: War das Oberhausener Manifest noch eine eher abstrakte, aus der Krise des Kinos geborene Proklamation der Erneuerung des deutschen Films, so entwickelt Kluge in seinem ersten filmtheoretischen Essay Die Utopie Film (1964) einen frühen programmatischen Entwurf, der bereits eine Ahnung davon vermittelt, wie die deutsche Antwort auf die nouvelle vague aussehen könnte. Unter dem Eindruck seiner Erfahrungen am Ulmer Institut formuliert er hier Forderungen an eine Filmbildung, die den Filmemacher mit einem Höchstmaß an Autonomie und Flexibilität, mit "Kenntnisse(n) und Geschicklichkeit in allen Spezialfächern des Films" auszustatten habe, anstatt ihn zu einem handwerklichen Spezialisten für Regie, Kamera etc. zu formen und damit den Bedürfnissen des Marktes anzupassen.
Dazu gehört für Kluge auch die intellektuelle Schulung des Filmautors, denn der "Gegenstand des Films" sei

die gesamte Wirklichkeit. [...] Der Filmautor braucht Wissen, Realisationsvermögen, Ausdrucksvermögen und eine Verantwortung für sein Medium. Diese Eigenschaften betreffen den ganzen Menschen. Eine allgemeine Bildung dieses ganzen Menschen bedeutet nicht Teilhabe an den 'höheren' Werten, sondern die Fähigkeit, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, sie zu begreifen.

Bereits in diesem frühen Text macht Kluge unmißverständlich klar, daß er Autonomie nicht mit einem "freien Künstlerstandpunkt" identifiziert; worum es geht, ist vielmehr, daß der Filmemacher über die notwendigen Mittel und Fertigkeiten verfügen muß, um sein individuelles Realitätsverhältnis, seinen Erfahrungshorizont so allseitig und authentisch wie möglich ausdrücken zu können. Das meint die Rede vom ganzen Menschen: der Filmemacher ist Autor erst dann, wenn er in Bezug auf seine Lebenserfahrung, auf das, was ihn geprägt hat und ausmacht, einen gewissen Patriotismus entwickelt, der ihn immer wieder auf die zentralen Fragestellungen und Themen seines Lebens zurückführt. Ein solches Lebensthema ist im Werk Kluges z.B. der Luftangriff auf seine Heimatstadt Halberstadt, den er als Dreizehnjähriger erlebte und in zahlreichen Geschichten, Filmen und Magazinbeiträgen bearbeitet hat. In Kluges politique des auteurs ist der Autor Zeuge einer Erfahrung bzw., wie es zehn Jahre später heißen wird, Bote einer Nachricht , die so nur ihm zuteil wurde und die ihn motiviert, sie auch anderen mitzuteilen, d.h. von dieser Erfahrung zu erzählen. Damit kommt der Zuschauer ins Spiel, der nicht als bloßer Empfänger einer Information vorgestellt, sondern ebenfalls als ein Mensch mit eigenen Erfahrungen angesprochen wird.

Der Film richtet sich an mündige und unmündige Menschen. Auch der mündige Mensch kann seinen Gedankenablauf und seine kritische Haltung gegenüber der Schockwirkung des Films nicht beibehalten: sein Assoziationsablauf wird durch den des Films überlagert. Walter Benjamin sagt: Der Film wird nicht mit Sammlung angeschaut, sondern er ist ein Werk, das die Versammelten in sich aufnehmen. Kritische Filmbetrachtung ist insofern eine Haltung, die der Zuschauer in der Regel nicht einehmen wird und die dem Medium Film auch nicht gerecht wird. Der Film muß vielmehr die kritische Haltung des Zuschauers, den Anspruch des Zuschauers, als ein aufgeklärter Mensch behandelt zu werden, vorwegnehmen.

Erkannte Benjamin in den taktilen Erfahrungsqualitäten der Montagetechnik eine Chance, die menschlichen Sinne mit den ephemeren Außenreizen des immer schneller werdenden Alltagslebens der Moderne zu versöhnen, so postuliert Kluge, daß der Filmautor den Zuschauer zuallererst einmal ebenso ernst zu nehmen habe wie sich selbst. Die Vorwegnahme von dessen kritischer Haltung ist nicht normativ zu verstehen, etwa in dem Sinne, daß der Regisseur dem Zuschauer vorschriebe, was er zu denken habe. Vielmehr ist gemeint, daß der Zuschauer - wie im Epischen Theater Brechts - in jedem Augenblick die Möglichkeit haben soll selbständig zu bleiben und daß seine Wahrnehmung durch keinerlei dramaturgische Manipulation (Spannungsdramaturgie, unsichtbarer Schnitt etc.) zu beeinträchtigen sei. Kluge begreift dementsprechend die "analytisch funktionierende Kamera" und die Montagetechnik als taugliche Instrumente der Erkenntnis von Wirklichkeitszusammenhängen, als eine Apparatur, die weit mehr vermag, als Illusionswirkungen hervorzurufen und ein durch die Konventionen des Mainstream-Kinos in den Wahrnehmungsgewohnheiten verankertes Bild der Wirklichkeit immer wieder aufs neue nur zu bestätigen - Wirkungen, die den Zuschauer in Unmündigkeit und Passivität gefangen halten. Kluge geht es vielmehr darum, die Möglichkeiten des Films auszuloten bei der Schaffung einer komlexeren Wahrnehmung sowohl der äußeren Realität als auch der im Zuschauer vorhandenen Ausdruckspotentiale. Der Zuschauer wird daher bereits in diesem frühen Text nicht als konsumierender Rezipient definiert, sondern als gleichwertiger Faktor eines an Brecht und Benjamin geschulten "Partizipations-Dispositiv[s]" , als eine Art Bündnispartner, der entweder bereits ein ausgeprägtes Interesse an der eigentätigen Gestaltung seiner Lebenswelt bzw. der Öffentlichkeit mitbringt oder aber neugierig genug ist, sich auf neue Wahrnehmungen einzulassen und diese zu kommunizieren.
Wenn später im Zusammenhang mit seinen Fernseharbeiten von der "Hebammenkunst" des Interviewers Kluge gesprochen wurde, so charakterisiert diese Analogie auch bereits die Rolle, die innerhalb seiner Theorie des Autorenfilms dem Autor zukommt. D.h. im übertragenen Sinne: Auch in seinen Filmen hat Kluge bereits Gespräche geführt - gewiß auch vor der Kamera, wenn er, im setting seiner Fernsehinterviews Darsteller aus dem off befragt - vor allem aber durch die weitmaschige Textur seiner Montagen hindurch - Gespräche mit dem Zuschauer. Auf der Mikro- wie auf der Makroebene, in den kleinsten Montageeinheiten, über ganze Sequenzen oder über die Gesamtlänge eines ganzen Films stellt der Filmautor sein Verhältnis zur Wirklichkeit öffentlich aus und läßt es in den Köpfen der Zuschauer zirkulieren, so daß diese unabhängig überprüfen können, was mit ihrer eigenen Erfahrung zu tun hat und was nicht. Das Kriterium jener "kritischen Haltung" ist denn auch vor allem Aufmerksamkeit, keinesfalls aber ein Standpunktdenken, das sich im Besitz der Wahrheit wähnte. Entgegen der geläufigen Auffassung von Kritik als einer Bewertungspraxis, die sich urteilend über den zu kritisierenden Gegenstand stellt, begreift Kluge Kritik im ursprünglichen Sinne des griechischen Wortes krinein als Unterscheidungspraxis, als die Produktion von massenhaftem Unterscheidungsvermögen. Die dem Film implementierte kritische Haltung ist somit das genaue Gegenteil eines Bescheidwissens, sondern, wie Kluge 1976 in einem Interview betont, vielmehr der Versuch, einen "Dialog zwischen dem Zuschauer und dem Autor" zu initiieren, denn "der Film realisiert sich für mich im Kopf des Zuschauers, nicht auf der Leinwand. Er darf auf der Leinwand zum Beispiel porös, schwach, brüchig sein; dann wird der Zuschauer aktiv, dann kann seine Phantasie eindringen." Der Film ist für Kluge nur eine dem technischen Entwicklungsstand entsprechende Apparatur zur Projektion von Gegenbildern, die dem modernen Menschen die Vergewisserung seiner selbst und d.h. auch eine Orientierung in der ihn umgebenden babylonischen Wirklichkeit ermöglichen kann. Darin läge der zeitbedingte Gebrauchswert der technischen Apparatur, während, wie es in den "Kommentaren zum antagonistischen Realismusbegriff" (den zentralen Texten der Klugeschen Filmtheorie von 1975) heißt, der "Film in den menschlichen Köpfen - Assoziationsstrom, Tagtraum, Erfahrung, Sinnlichkeit, Bewußtsein", also die "lebendige Arbeit" der menschlichen Vorstellungskraft das eigentliche Massenmedium sei.
Kluges Begriff des Films führt also stets - gewissermaßen als anthropologisches Sinnmoment - die Rede von menschlichen Eigenschaften mit, die auf die historische Wirklichkeit und d.h. auch auf die im Kino gezeigten Bilder reagieren, und die ihm letztlich wichtiger sind als diese Bilder selbst.

Es gibt nichts in der Geschichte des Kinos, das sich Menschen nicht auch, ohne Filme gesehen zu haben, vorstellen könnten. Aber dadurch, daß solche Erfahrungen in Form öffentlicher Bilder an einem bestimmten Ort ('Lichtspielhaus') zu sehen sind, während ich bemerke, daß noch andere als ich Zuschauer sind, erhalten die Erfahrungen ein anderes Selbstbewußtsein, eine zusätzliche Sprache, zusätzlich zu der täglich entmutigten meines bloßen Inneren. [...] Nichts davon ähnelt mehr dem Prinzip des Dialogs, der Entstehung des Gedankens, als diese Wechselbilder, dieser 'innere Film': ich spüre etwas, mache mir eine Perspektive, indem ich es vom Standpunkt eines anderen Menschen ansehe, und ich könnte es jetzt (obwohl nur meine Nerven genau sagen können, was ich fühle) sogar Dritten mitteilen.

Diese semantische Neuakzentuierung des Filmbegriffs findet sich nicht allein in den theoretischen Kommentaren des Regisseurs, sondern auch - als selbstreflexiver Gestus - in den Filmen selbst, z.B. im Prolog zu Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (1973): der Film setzt ein mit einer Großaufnahme der Protagonistin Roswitha Bronski (Alexandra Kluge), aus dem off spricht der Regisseur den Kommentar: "Roswitha fühlt in sich eine ungeheure Kraft, aber sie weiß aus Filmen, daß es diese Kraft auch wirklich gibt." Nach einem kurzen Dialogstück aus dem Film Tschapajew, eine Referenz an die uneingelösten Versprechen der frühen Filmgeschichte, wird eine Schrifttafel mit einem Zitat von Friedrich Engels eingeblendet: "Alles, was Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab." Dieser Filmbeginn liest sich wie ein poetologischer Kommentar zur Funktionsweise des Films: Filme können Menschen stärken oder schwächen, sie können ein Mehr an Sebstbewußtsein produzieren oder aber es mindern - darauf zielte der Appell an die Verantwortung des Regisseurs für sein Medium. Kluges Option ist klar: seine Filme sollen eine Kraftreserve bilden, die dazu beiträgt, im Zuschauer ein Bewußtsein und ein Gefühl für die eigenen Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten zu erzeugen. Um dies zu vermögen, dürfen sie sich nicht hermetisch gegen die Erfahrungen des Zuschauers abschließen, dürfen sie weder vor den harten Fakten der Wirklichkeit ausweichen noch dürfen sie die normative Kraft des Faktischen wie ein Schicksal behandeln.


Antirealismus des Gefühls

Kluge begreift die Wirklichkeit als eine "geschichtliche Fiktion", die als solche auch darzustellen sei. Auch wenn sie den Einzelnen "real, als Schicksal" trifft, ist sie

kein Schicksal, sondern gemacht durch die Arbeit von Generationen von Menschen, die eigentlich die ganze Zeit über etwas ganz anderes wollten und wollen. Insofern ist sie in mehrfacher Hinsicht gleichzeitig wirklich und unwirklich. Wirklich und unwirklich in jeder ihrer einzelnen Seiten: kollektive Wünsche der Menschen, Arbeitskraft, Produktionsverhältnisse, Hexenverfolgung, Geschichte der Kriege, Lebensläufe der Einzelnen.

Für "wirklich und unwirklich" haben sich im Verlauf der Filmgeschichte - in dem Maße, in dem das Medium unter industrielle Kuratel gestellt wurde - eigene Zuständigkeiten, Ressorts ausgebildet: die hermetischen Fiktionen des Spielfilms mit ihrer linearen Erzählweise, der Ideologie des happy ends, der special effects und einer den Zuschauer psychisch beanspruchenden Spannungsdramaturgie antworten auf das subjektive - und begründete - Bedürfnis nach jenem Sinn, den die Wirklichkeit nicht bereithält - eine kompensatorische Antwort, die die Erfahrungen des Zuschauers in reinem Amüsement zum Verschwinden bringt. "In dieser Umformung alles Realen in spannende Handlung liegt der im Zuschauer vorproduzierte Schematismus aller Spielfilmgenres." Auf der anderen Seite verhält sich Kluge zufolge aber auch der Dokumentarfilm, sobald er beansprucht, ein objektives Bild der Wirklichkeit zu geben, ebenso ideologisch. Denn aufgrund seiner Fokussierung der Fakten blendet er die subjektive Seite der menschlichen Bedürfnisstruktur, die Wünsche aus. Dabei verdankt auch er seine Entstehung letztlich subjektiven Entscheidungen, die im "Kopf des Filmemachers" getroffen werden und die weite "Tatsachenzusammenhänge" ausgrenzen. "Der naive Umgang mit Dokumentation", schreibt Kluge, "ist deshalb eine einzigartige Gelegenheit, Märchen zu erzählen. Von sich aus ist insofern Dokumentarfilm nicht realistischer als Spielfilm." In diesen Schematismen, den Einteilungen des Films in Genres reproduzieren sich Trennungen, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit selbst wirksam sind. Davon handelt das mit Oskar Negt geschriebene Buch Öffentlichkeit und Erfahrung von 1972; es beginnt mit den Sätzen:

Bundestagswahlen, Feierstunden der Olympiade, Aktionen eines Scharfschützenkommandos, eine Uraufführung im Großen Schauspielhaus gelten als öffentlich. Ereignisse von überragender öffentlicher Bedeutung wie Kindererziehung, Arbeit im Betrieb, Fernsehen in den eigenen vier Wänden gelten als privat. Die im Lebens- und Produktionszusammenhang wirklich produzierten kollektiven gesellschaftlichen Erfahrungen der Menschen liegen quer zu diesen Einteilungen.

Mit dem Begriff der Erfahrung stellen Negt/Kluge das idealtypische Konstrukt einer universalen, von kritischem Räsonnement getragenen bürgerlichen Öffentlichkeit, das Jürgen Habermas noch 1962 als Modell gegen eine von politischen und ökonomischen Interessen manipulierte Öffentlichkeit ins Feld führte , gewissermaßen vom Kopf auf die Füße. Ihr Entwurf einer Gegenöffentlichkeit geht von der Beobachtung aus, daß die gesellschaftliche Realität gar "nichts Einheitliches" ist, sondern sich aus vielen disparaten "Einzelöffentlichkeiten" zusammensetzt, deren lebendige Substanz, die "wirklichen Erfahrungen der Menschen" von den Repräsentationsformen, dem "Blockierungszusammenhang" der bürgerlichen Öffentlichkeit ausgegrenzt wird. "Öffentlichkeit" im Sinne Negt/Kluges "besitzt dann Gebrauchswerteigenschaften, wenn sich in ihr die gesellschaftliche Erfahrung organisiert." Dies wäre aber nur möglich, wenn die in den Intimbereichen der Privatsphäre angesiedelte sinnliche Erfahrung, d.h. die in den unmittelbaren zwischenmenschlichen Beziehungen entstandenen Motive und Gefühlswelten, substantiell in den Produktionsprozeß öffentlicher, d.h. kollektiver Erfahrung einfließen könnten. Der Selbstorganisation menschlicher Erfahrung steht für die Autoren aber die Realität der Massenmedien gegenüber, die sie am Beispiel des Leitmediums Fernsehen analysieren; es versuche, "die gesamte Welt repräsentativ widerzuspiegeln" , ersetze dabei aber "wirkliche Strukturen [...] durch Strukturen der Fernsehproduktionserfahrung" . Aus "Stoffülle und organisierte[m] Zeitmangel" komme es zur "Abstrahlung generalisierter Programme" , deren Ballungsprinzip eine dem hochindustrialisierten Medium eigene Zeitstruktur erzeuge, die sich zur Geschwindigkeit real gelebten Lebens disparat verhalte. So führe z.B. der Abstraktionsgrad aneinandergereihter und auf ihren reinen Informationswert reduzierter Nachrichtenmeldungen beim Zuschauer zu einer "Zerfaserung der Aufmerksamkeit" , die selbst noch die schrecklichsten Todesmeldungen konsumierbar mache. Negt/Kluge plädieren für eine Nachrichtenform, die die Information, den Inhalt der Meldung in der sinnlichen Erfahrung des Zuschauers verankern würde. "Hierzu müßte wirkliche Geschichte erzählt werden; erst sie konstituiert die Nachricht wirklich."
An dieser Stelle wird der innere Zusammenhang zwischen der Öffentlichkeits- und der Filmtheorie Alexander Kluges deutlich. Beide enthalten Modelle zur Organisation der menschlichen Subjekteigenschaften und bilden damit eine Art Selbstverständigungsfolie, die Kluges multimedialer Versuchsanordnung, in der das Fernsehen zunächst nur Gegenstand kritischer Reflexion war, zugrundeliegt. Seine Ästhetik ist einem antagonistischen Realismusbegriff verpflichtet bzw. dem "Antirealismus des Gefühls" , der sich gegen die Trennungen (öffentlich - privat, fact - fiction ) zur Wehr setzt. "Das Motiv für Realismus ist nie Bestätigung der Wirklichkeit, sondern Protest." Und weil Autor und Zuschauer derselben gesellschaftlichen Wirklichkeit angehören, überträgt Kluge dieses Motiv auch auf den Zuschauer: "ich vermute eben im Zuschauer den gleichen antirealistischen Ansatz, der auch mich bewegt, nur würde der Zuschauer das nicht so formulieren." Erst von dieser Grundannahme aus erhält die Rede vom Dialog mit dem Zuschauer ihre Konsistenz. Wenn "im menschlichen Kopf [...] Tatsachen und Wünsche immer ungetrennt" sind, wenn der "Wunsch [...] die Form" ist, "in der die Tatsachen aufgenommen werden" , so hat dies für die ästhetischen Verfahrensweisen, die diese Kommunikation organisieren sollen, unweigerlich zur Folge, daß die bereits genannten Genre-Identitäten, die auf Ausgrenzung des jeweils anderen Pols beruhenden Schematismen von Spielfilm und Dokumentarfilm dekonstruiert werden müssen. Dementsprechend entwickelt Kluge in seinen Arbeiten "Mischform[en]" , die sowohl die Inszenierungen der Wirklichkeit (die von keinem gewollten geschichtlichen Fiktionen) als auch die Authentizität der menschlichen Wünsche (die "nicht weniger Real-Charakter als die Tatsachen" haben) als einen realistischen Zusammenhang darstellen. Zu diesem Zweck schickt Kluge die fiktiven Heldinnen seiner Filme wie Sonden in die soziale Wirklichkeit der sechziger und siebziger Jahre und läßt sie mit lebendigen Augen den gesellschaftlichen "Blockierungszusammenhang" (Häuserkampf, Werkschutz, Betriebsgeheimnisse etc.) erkunden. So inszeniert er in seinem Film Die Patriotin die fiktive Figur der Geschichtslehrerin Gabi Teichert (gespielt von Hannelore Hoger) in die reale Szenerie des SPD-Parteitags hinein, wo sie ihr Anliegen, die Geschichte hier und jetzt zu ändern, damit sie ein besseres Ausgangsmaterial für den Geschichtsunterricht bekomme, mit naivem Ernst den dort versammelten Delegierten vorträgt. Die Realpolitiker reagieren verständnislos und nehmen ihren doch berechtigten Wunsch nicht ernst. Statt Gehör zu finden, wird sie Zeugin der eingeübten Parteitagsroutine und ihrer Ausschlußmechanismen (Leitanträge etc.), die sich von den Erfahrungen und Bedürfnissen derer, in deren Namen sie stattfinden, längst getrennt haben. Kluges wechselseitige Überblendung von Dokument und Fiktion schafft einen Perspektivenwechsel, der die Zuordnungen von "wirklich" und "unwirklich" neu proportioniert, so daß der - unerwartet mit einer subjektiven Sicht konfrontierte - Zuschauer das ihm aus seiner Medienerfahrung vertraute Informationssignal ein Parteitag, also ist es dokumentarische Berichterstattung, also handelt es sich um etwas Wirkliches überprüfen und so den schein-öffentlichen Charakter des Parteitags erkennen kann. Findet hier die "Durchbrechung von Öffentlichkeitsschranken" , von Wahrnehmungskonventionen in der Szene selbst statt, so beziehen Kluges "Mischformen" ihre spezifische Grammatik aus der Montage. Sie begreift der Regisseur als

eine Theorie des Zusammenhangs. [...] Wenn ich Realismus als eine Kenntnis von Zusammenhängen begreife, dann muß ich für das, was ich nicht im Film zeigen kann, was die Kamera nicht aufnehmen kann, eine Chiffre setzen. Diese Chiffre heißt: Kontrast zwischen zwei Einstellungen; das ist ein anderes Wort für Montage. Es geht also um konkrete Beziehungen zwischen zwei Bildern. Dadurch, daß zwischen zwei Bildern eine Beziehung entsteht und die Bewegung (das sogenannte Filmische) zwischen zwei Bildern steckt, ist an diesem Schnitt die Information versteckt - die in der Realaufnahme in der Einstellung selbst nicht stecken würde. Das heißt, die Montage befaßt sich mit etwas ganz anderem als ein Film, der nur aus Rohmaterial besteht.

Montage ist ein Meßinstrument, das an jeder Schnittstelle aufs neue Erfahrungskompetenz und Vorstellungskraft des Zuschauers einbezieht. Sie bildet nicht mehr, wie noch bei Eisenstein, Begriffe, sondern Proportionen, subtile Unterscheidungen ; sie arbeitet an der Herstellung von Maßverhältnissen:

[...] und dieses Verhältnis steckt im Schnitt, also an der Stelle, an der der Film nichts zeigt, während dort, wo er etwas zeigt, das Unwesentliche der Mitteilung sitzt, gewissermaßen die Voraussetzung, daß es mitteilbar ist.

Spätestens hier wird deutlich, wie wenig Vertrauen Alexander Kluge den Bildern entgegenbringt, eine Skepsis, die nicht zuletzt dem starken Einfluß der Adornoschen Ästhetik und deren Affinität zum jüdischen Bilderverbot geschuldet sein dürfte. Kluges Montageverfahren haben seinen Arbeiten denn auch den Ruf des Sperrigen, Spröden, Schwerverständlichen eingetragen - Reaktionen, die jeder nachvollziehen kann, der sich an seinen ersten Kluge-Film erinnert, die aber auch deutlich machen, in welchem Maße die ubiquitären und niemals abreißenden Bilderserien der Bewußtseinsindustrie unseren Erwartungshorizont audiovisuellen Ereignissen gegenüber in die Bereitschaft zu passiver Rezeption verbildet haben. Dies liegt zu einem guten Teil daran, daß uns die genrespezifischen Herstellungsideale (unsichtbarer Schnitt, richtiger Anschluß etc.), die ein in sich stimmiges Voranschreiten der Handlung bzw. einen reibungslosen Programmfluß gewährleisten, zu einer zweiten Natur geworden sind. Kluges Montageform führt exemplarisch vor, daß Film und Fernsehen Konstrukte sind und daß ihre Rohmaterialien, Bild, Musik, Sprache, Schrift, keineswegs zwingend auf synthetische, sondern ebenso gut auf analytische Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden können. In Analogie zu Brechts Wort von der "Trennung der Elemente" bleiben in Kluges Montagen die einzelnen Teile weitgehend autonom; aus ihrer Verknüpfung soll kein Sinn herausspringen, sie werden daher nicht dramaturgisch verbunden, unterstehen nicht mehr dem Sinnzwang. Derart aufgefächert entstehen Freiräume für Assoziationen, in denen sich die Phantasie selbstreguliert bewegen kann.
Kluges Zusammenhang setzt sich - vor allem in den späten Essayfilmen Die Patriotin, Die Macht der Gefühle und Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit - aus den disparatesten Bruchstücken zu einer polyphonen Formenwelt zusammen, die allegorisch eine Ahnung von der Vielstimmigkeit der Realität vermittelt. Dazu versammelt er Zitate aus den verschiedensten kulturgeschichtlichen Kontexten, die die Anfänge des eigenen Mediums ebenso vergegenwärtigen wie die verschiedenen Zeiten, denen sie entnommen sind, angeeignete Wirklichkeitspartikel, denen, wie im Falle der verwendeten Musik (z.B. alte Tangos, Opernausschnitte), die Spuren ihres Gebrauchs deutlich anzumerken sind und die allesamt erfahrbar machen, daß die Realität ein vielfach übereinander geschriebener Text ist, den es - gewissermaßen in gegenläufiger Richtung - zu lesen gilt. Intermittierende Bilder einer Regenpfütze, eines Buschs oder eines Sternenhimmels, die per se dem Sinnzwang enthoben sind, weil sie einer anderen Zeitordnung angehören als die kulturelle Zeichenproduktion, verweisen zugleich auf die Möglichkeitsräume, die sich an der Schnittstelle zwischen den Bedeutungsträgern auftun; sie machen bewußt, daß Erfahrung sich erst organisieren kann, wenn die Permanenz des Informations- und Bilderflusses unterbrochen wird, wenn der Film innehält. "Das Nichtverfilmte kritisiert das Verfilmte" - so lautet die Maxime eines Autors, der in allen seinen Arbeiten den Zuschauer/Leser und sein Bedürfnis nach Zusammenhang als eigenständige - und eigensinnige - Produktivkraft begreift. Kluges Filme haben daher stets den Charakter des Vorläufigen, Unabgeschlossenen, Imperfekten; sie sind cinéma impur, audiovisuelle Rohbauten, die jeden, der sie betritt, zu architektonischem Probehandeln herausfordern - sie sind ebenso unendgültig wie die Kommunikation selbst. Die Rede vom Dialog mit dem Zuschauer bezeichnet diesen offenen Horizont: unter der Rückantwort des Zuschauers ist nicht mehr die apparatbezogene Umkehrung des Verhältnisses von Sender und Empfänger zu verstehen, sondern vielmehr ein multipler Übertragungsprozeß, in dem sich die Perzeptionen im Kinosaal assoziativ mit Erfahrung aufladen und derart angereichert in den ebenso unabschließbaren wie variablen Mitteilungsketten der unmittelbaren Kommunikation verfielfältigen. Ein Autorenfilm im Sinne Kluges ist immer das Zeugnis einer Erfahrung, der Zuschauer der Zeuge dieses Zeugnisses, von dessen Erfahrung er wiederum in seiner eigenen Beziehungsarbeit zeugen wird usw. Die Erfahrungsgehalte und Wahrnehmungsformen mäandrieren in einem unwägbaren kybernetischen Fluß, einer rhizomartigen Struktur von Kommunikation zu Kommunikation.


Autoren-Fernsehen und klassische Öffentlichkeit

Wie eingangs erwähnt, bezeichnen die frühen achtziger Jahre das Ende des deutschen Autorenfilms in seiner klassischen Gestalt. Parallel dazu vollzog sich eine grundlegende Veränderung des Mediensystems. Die neue Bundesregierung betrieb mit Elan die Verkabelung der Republik, um bei der Durchsetzung des kommerziellen Fernsehens unhintergehbare Fakten zu schaffen. Diese Entwicklung wurde von Kluge und anderen als reale Bedrohung der "innere[n] Ökologie" der Gesellschaft angesehen. So heißt es 1983 im gemeinsam mit Klaus Eder verfaßten Vorwort der Bestandsaufnahme:

Wenn die Öffentlichkeiten zerfallen, zerfällt auch etwas in uns. Es genügt nämlich nicht, daß ich etwas fühle oder etwas für mich denke: ich muß auch darüber erzählt hören: Das ist Öffentlichkeit. Es sind also immer zwei Köpfe, zwei Körper da, auch wenn ich allein dasitze: das eine bin ich; das andere ist eine großartige Inszenierung, mehr als 1000 Jahre alt und nicht von einzelnen gemacht, Geschichte, Kultur, Eßgewohnheiten, Verhaltensweisen im Alltag, Musik, Film, Glück, Unglück usw. Es ist etwas Reiches. Die Medien geben immer weniger davon wieder. Mit jedem neuen Medium, mit jedem neuen Bilderflut-Programm, mit jedem 'Mehr' wird etwas beschnitten.

Die Einführung der Neuen Medien avancierte zu einem Menetekel, das den Kampf um eine unabhängige Filmkultur, um selbstorganisierte Öffentlichkeitsräume zurückzuwerfen drohte. In seinen kritischen Interventionen, die zu einer Entschleunigung dieses Prozesses beitragen wollten, nahm Kluge Anleihen am ökologischen Diskurs jener Jahre, vor allem wohl, um das in der Öffentlichkeit verbreitete Bewußtsein für Umweltprobleme auch für die Frage nach der Verfassung dieser Öffentlichkeit selbst zu sensibilisieren.
Aber auch das Fernsehen, das in seiner öffentlich-rechtlichen Organisationsform bis zu diesem Zeitpunkt eine Monopolstellung innehatte, mußte angesichts der sich abzeichnenden Etablierung privater Anbieter und der damit verbundenen Umverteilung von Marktsegementen starke Verluste befürchten. In dieser krisenhaften Gemengelage sah Kluge die Chance, die Interessen der Autorenfilmer und die des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in neuen kooperativen Formen zusammenzuführen. Wie er sich diese über das Rahmenabkommen von 1974 hinausgehende Zusammenarbeit vorstellte, trug er auf den Mainzer Tagen der Fernsehkritik 1983 vor, jetzt weniger das Trennende als die Nahtstellen betonend: Die Fernsehanstalten könnten die Programmkinos als "Schaufenster" ihrer eigenen Produktionen nutzen und auf diese Weise "in die Öffentlichkeit vordringen. Das wäre eine Öffentlichkeit unter unmittelbar versammelten Menschen, die anschließend diskutieren können." Im Gegenzug könnten im Fernsehen Fenster geschaffen werden, auf denen die Filmemacher "im Wettbewerb mit den kreativen Kräften des Fernsehens Varianten ausprobieren. Dazu brauchen wir feste Sendezeiten." Tatsächlich wurde in einer gemeinsam verfaßten "Erklärung" die Idee der Kooperation bekräftigt mit dem ausdrücklichen Ziel, "die öffentlichen Räume dem Zugriff neuer privatwirtschaftlicher Unternehmen streitig [zu] machen" , doch praktisch umgesetzt wurde diese Idee nicht. Dennoch ist die Mainzer Debatte für das Verständnis der weiteren Entwicklung insofern aufschlußreich, als hier erstmals das Konzept eines anderen, um das Autorenprinzip erweiterten Fernsehens sowie die Forderung nach festen Sendeplätzen für Experimente des Autorenfilms an die Programmverantwortlichen direkt herangetragen wurde.
Die eigentliche Gründerzeit des dualen Systems war 1984, als die ersten Kabelpilotprojekte anliefen, abgeschlossen. Aber da sich die verschiedenen Interessengruppen, Landesregierungen, Bundesregierung und Bundespost, nur mühsam über die Zulassungs- und Regulierungsmodalitäten verständigen konnten, verlängerte sie sich bis 1987, als das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Anstalten und kommerziellen Anbietern in einem Medienstaatsvertrag besiegelt wurde. Dieser Prozeß war von einer kontroversen Debatte begleitet worden: galt den Befürwortern der neuen Medien schon der mit ihrer Einführung verbundene technische Innovationsschub als Garant einer "moderne[n], selbstbestimmte[n] Medienwelt" , so befürchteten die Kritiker einen rasanten Abbau öffentlicher Kontrollmechanismen: privates Fernsehen könnte politischer Einflußnahme Tür und Tor öffnen und zum Forum einer Hofberichterstattung werden, auf dem für kritischen Journalismus kein Platz mehr sei; auch werde die Abhängigkeit von kommerziellen Sponsoren zu einer Verflachung der Programmqualität führen, die mit dem bisherigen medienpolitischen Konsens nicht zu vereinbaren sei; schließlich beschworen kulturkonservative Kritiker, denen das Fernsehen immer schon ein Dorn im Auge war, den endgültigen Kollaps gesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen herauf, wie er in den populären Büchern von Neil Postman beschrieben wurde. Horkheimer/Adornos Befund "Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit" gewann im Diskurs der Pessimisten unausgesprochen neue Aktualität.
Nach dem Scheitern der von ihm vorgeschlagenen Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten und die inzwischen angelaufenen Pilotprojekte vor Augen, drehte Kluge seinen vielleicht skeptischsten Film Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit (1985). Diese Liebeserklärung an das Kino war Trauerarbeit und Parabel zugleich: die Sequenz "Die Überflüssige" handelt von einer Ärztin, die aufgrund der Fortschritte in der Medizintechnik ihren Arbeitsplatz verliert; sie und ihr Können (ihre "Liebe zur Sache") werden nicht mehr gebraucht. Thema des Films ist die Intensität der "Verschrottung" von langfristig gewachsenen Erfahrungszusammenhängen, wie sie von den Managern der Neuen Medien (den "Eiligen im Lande") mit Ungeduld betrieben wurde.
Dieses Bedrohungsszenario war auch Gegenstand des im selben Jahr erschienenen Essays Die Macht der Bewußtseinsindustrie und das Schicksal unserer Öffentlichkeit . Hier legte Kluge ausführlich dar, welche Gefahren für ihn mit der Einführung des dualen Systems und der mit der Kabeltechnik möglich gewordenen Digitalisierung verbunden waren. Ohne von seiner Kritik an der anstaltsförmigen Organisationsweise und dem Programmschematismus des öffentlich-rechtlichen Fernsehens abzurücken, erkannte er in den neuen Technologien und der Form, in der diese politisch durchgesetzt werden sollten, ein bislang unbekanntes Zerstörungspotential, das er mit der Kolonialisierung Afrikas im 19. Jahrhundert verglich. "In großem Maßstab geht es um das Projekt einer Industrialisierung des Bewußtseins." Der Kampf um die Köpfe drohe verloren zu gehen, wenn auch noch die Vertriebswege in den Besitz einiger weniger Medienkonzerne, "Konsortien, closed-shop-Gruppen" übergehen würden. Die Folgen wären homogenisierte Programmangebote, die sich am "kleinsten gemeinsamen Nenner im Publikumsgeschmack orientieren" und die noch vorhandenen Qualitätsstandards vollends aushebeln würden; der Ausschluß unabhängiger Produzenten, die ein gewisses Maß an Vielfalt garantieren könnten; ein massiver Eingriff in die "Ökologie der symbolischen Sequenzen" und damit einhergehend eine nachhaltige Störung der gesellschaftlichen Kommunikation und Erfahrungsbildung: "kollektive Unaufmerksamkeit" und "Persönlichkeitsverlust auf Zeit als Genußform". All dies ziehe die Zerstörung der klassischen Öffentlichkeit unweigerlich nach sich.
Der Begriff der klassischen Öffentlichkeit bezeichnet dabei den utopischen Horizont von Kluges Kommunikationsmodell:

Die Vielstimmigkeit an geselligem Ausdruck, genannt Kommunikation, verkürzt sich zu der Dreiheit: Information, Unterhaltung, Bildung. Also: Nachricht, Show, Schule, oder: Lehrfilm, Featurefilm, Meldung.
Man vergleiche damit den Reichtum klassischer Öffentlichkeiten: das, was an Florenz entzückte, was die Musik ausmacht, das Theater, den klassischen Film, die Zeitungen, die Erzählkunst der Bücher, die Wissenschaft, die ja nicht allein aus Populärsendungen über Sterne und Tiere besteht. Dieser Reichtum hatte einen Mangel: er war nicht durch jedermann zu erwerben, aber es wäre eine verbrecherische Verwüstungsaktion, die Nichterreichbarkeit des reichen Ausdrucksvermögens für jeden aufrechtzuerhalten und zugleich die in den klassischen Öffentlichkeiten versteckte Utopie zu beseitigen, daß es für den einen oder anderen und möglicherweise auch für alle, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, erlangbar sei, etwas zu wissen, allseitig zu empfinden usf. Wer die klassischen Öffentlichkeiten zerstört, ist ein Geschichtsverbrecher.

Und an anderer Stelle hieß es:

[...] die Herausforderung, die von den neuen Medien ausgeht, die ökologische Gefahr für die Strukturen des Bewußtseins, fordern nichts Geringeres als den Rückgang auf die Anfänge aller Öffentlichkeit: Wir müssen dieses Teilkapitel, ausgehend von 1802 (oder früher), reaktualisieren, revitalisieren: diesmal überhaupt in Gang setzen. Was die bewegten Bilder des Films betrifft, geht die Reise nur 'zurück zu Lumi?re und Méli?s', also wiederum zu den Anfängen. In jedem dieser Anfänge finden sich Cousins und Cousinen der tatsächlichen Entwicklung, die sich in hochinteressanter Weise zu Erfindungen für die neuen Medien übersetzen lassen.

Kluges Diagnose ging teilweise konform mit den Warnrufen, die in jenen Jahren laut wurden. Ihr utopisches Beharren, ihre analytische Differenziertheit und der selbstbewußte Duktus ihrer Argumentation verwandelten sie jedoch unter der Hand in ein strategisches Instrument, das auf die neuen Bedingungen mit einer neuen Programmatik reagierte. Denn Kluges Bestandsaufnahme ist vor allem eine genaue Beschreibung der damaligen Situation, verfaßt in der Absicht, Eindringstellen zu markieren und Argumente zusammenzutragen, die geeignet wären, auch Politiker für die eigene Sache zu gewinnen. Von einem Projekt, das sich die Rettung der klassischen Öffentlichkeit bzw. die Arbeit an lebendigen Kommunikationsstrukturen auf die Fahne schrieb, mußte - zumindest für die politische Linke, die dem dualen System mit Skepsis begegnete - eine gewisse Faszination ausgehen. Nicht zuletzt deshalb, weil Mitte der achtziger Jahre ohnehin "die Idee eines unabhängigen dritten Fernsehens zwischen öffentlich-rechtlicher und kommerzieller Struktur [...] auf vielen gesellschaftlichen Ebenen diskutiert wurde" , was schließlich auch die Einrichtung Offener Kanäle zur Folge hatte. In diesem Klima gelang es Kluge, der zugleich als Lobbyist der in der AKS (Arbeitsgemeinschaft für Kabel- und Satellitenprogramme) organisierten Buchverlage, Regisseure und Theaterintendanten auftrat, in der nordrhein-westfälischen Landesregierung einen Partner für sein Projekt zu gewinnen, mit dem Ergebnis, daß das Landesmediengesetz jedem kommerziellen Vollprogramm zur Auflage machte, Kultur und investigativen Journalismus, produziert von unabhängigen Dritten, in sein Programmangebot aufzunehmen. Für Kluge bedeutete dies, daß er seine Vorstellungen von Programmqualität nun tatsächlich würde umsetzen können, nur eben nicht mehr, wie zunächst angestrebt, in Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern paradoxerweiser inmitten der gerade entstehenden Programmformationen, deren Etablierung er jahrelang bekämpft hatte.
Im Februar 1987 gründete Kluge gemeinsam mit dem japanischen Werbekonzern Dentsu die DCTP (Development Company for Television Program), die in kurzer Frist genau die Programmformate entwickelte, die die neuen Anbieter RTL(plus) und SAT.1 benötigten, um eine Lizenz für die Nutzung der begehrten terrestrischen Frequenzen zu erhalten. Die Besonderheit dieser Konstruktion besteht darin, daß die Lizenzen der Sender untrennbar mit eigenen Lizenzen der DCTP verbunden sind. Sie garantieren Kluge und seinen Kooperationspartnern völlige Immunität gegenüber denkbaren Eingriffen von seiten der Sender. Daß es seither an Versuchen, Kluges eigene Produktionen aus dem Programm zu kippen, nicht gefehlt hat, ist vielfach bezeugt. Vor allem der langjährige RTL-Chef Thoma machte nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber den eigenwilligen, sämtliche Konventionen des Mediums und des Genres ignorierenden Kulturmagazinen 10 vor 11 (RTL), News & Stories (SAT.1) und Prime Time/Spätausgabe (RTL), die Kluge seit Mai 1988 - auch in seiner Funktion als Treuhänder der AKS - in eigener Regie herstellt und bis heute wöchentlich zur Ausstrahlung bringt. Was auf diesen Sendeplätzen sonntags und montags zu vorgerückter Stunde den stereotypen Programmfluß, bestehend aus sex and crime, jäh unterbrach, titulierte er als "Steinzeitfernsehen" und "elektronische Wegelagerei", Kluge selbst denunzierte er als "Quotenkiller" . Die Invektiven des geschäftstüchtigen Managers konnten indessen gegen die gesetzlich verbürgte Bestandsgarantie für die als parasitär empfundenen Nischenprogramme nichts ausrichten.
Dabei bilden Kluges eigene Sendungen nur einen kleinen - eben den kulturellen - Teil der DCTP-Programme. Daneben existieren journalistische Formate wie die Sendungen des Spiegel-Verlags, der sich 1991 als Mitgesellschafter der DCTP anschloß (Spiegel TV), des Stern (Stern TV), die bei Vox gesendeten Magazine der Süddeutschen Zeitung (Süddeutsche TV), der Neuen Zürcher Zeitung (Format NZZ), der BBC (BBC Exclusiv) sowie das Erotikmagazin Wa(h)re Liebe. Die Magazine dieser unabhängigen Partner werden nach dem Herausgeberprinzip unter dem Logo der DCTP ausgestrahlt. Mit seiner ebenso umsichtigen wie beharrlich verfolgten medienpolitischen Strategie hat Kluge nicht nur eine breite Vielfalt an Themen und journalistischen Zugängen in einem von Profitinteressen bestimmten Programmumfeld ermöglicht, seine Produzenten- und Herausgebertätigkeit hat auch das Profil der Sender nachhaltig verändert und aufgewertet. Vor diesem Hintergrund war die Gründung des eigenen Senders XXP, der seit Mai 2001 gemeinsam von DCTP und Spiegel betrieben wird und dessen Programm inzwischen in sechs Bundesländern empfangen werden kann, nur konsequent.
Gewiß läßt sich das gesamte Ensemble der verschiedenen DCTP-Formate als Einlösung zentraler programmpolitischer Vorstellungen Kluges interpretieren, doch ebenso unzweifelhaft ist die Differenz zwischen den Produktionen der Partner, die sich traditionellen Maßstäben des investigativen Journalismus und einer mediengerechten Übersetzung der von ihnen repräsentierten Printprodukte verpflichtet fühlen, und den Kulturmagazinen Alexander Kluges, der sich lange vor seinem Wechsel zum Fernsehen längst einen Namen als Schriftsteller und Filmkünstler gemacht hatte. Kluge leiht sich zwar die Bezeichnung Kulturmagazin, doch sprengt das thematische Spektrum seiner Sendungen bei weitem das klassische Themenrepertoire dieses Fernsehgenres. Ihre Diversität hat allen Anspruch, als enzyklopädisch bezeichnet zu werden; neben den Künsten (vor allem der Oper) bleibt kaum ein Wissensgebiet unerörtert: Insekten-, Gehirn- und Weltraumforschung sind ebenso selbstverständlich vertreten wie Fragen der Kriminalistik, der Physiognomik oder der strategischen Kriegsführung. Die eigentliche Differenz zu vergleichbaren Formaten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kommt aber weniger durch die thematische Breite seiner Sendungen zustande, sondern vielmehr durch ihre formale Gestaltung, die deutlich die Handschrift des Autors Kluge erkennen läßt.
Hier lassen sich zwei Grundformen unterscheiden: das Interview und der Montage-Essay. Letzterer knüpft mit elektronischen Mitteln an die Klugesche Filmästhetik an und avanciert in seinen radikalsten Beispielen zu komplexen Chiffren des 20. Jahrhunderts. In einer Sendung über den Gaskrieg etwa werden dokumentarische Bilder aus dem Ersten Weltkrieg in einer Art Scherbenoptik gebrochen und auf mannigfaltige Weise verfremdet, von atonaler Musik oder einem Antikriegslied begleitet, mit Schrift überblendet oder von Texttafeln unterbrochen. Bilder einer Sektion demonstrieren, was aus dem menschlichen Körper unter den Händen des Anatomen wird, und machen im Kontext der Sendung doch evident, was mit den Menschen im Krieg geschieht. In ganzen Sendungen ist überhaupt kein Bild zu sehen, sondern nur Text zu lesen, ein Text allerdings, dessen graphische Form schon wieder Bildqualitäten aufweist, wenn aus der Anordnung der Worte und Buchstaben deren Bedeutung herausgesehen werden kann - der aber auch ironisch darauf verweist, daß das Fernsehbild ein aus Zeilen bestehender Text ist, der gelesen werden muß. Andere Sendungen - vor allem der Reihe Prime Time/Spätausgabe, dem mit 15 Minuten kürzesten Format - zeigen Bilder im Zeitraffer, von Metropolen, Jahrmärkten oder der Verhüllung des Reichstags, oft unterlegt mit Technorhythmen. Zahlreiche Beiträge der frühen Jahre waren den Anfängen des Kinos, der primitive diversity, gewidmet, den Nummernprogrammen des Zirkus oder der Schlagerrevuen. Alle diese Beiträge konfigurieren eine Art virtueller Weltausstellung, in der all das zusammengetragen ist, was die Wirklichkeit an Tatsachen und ungenutzten Möglichkeiten bereithält, Fundstücke des Realen und der Phantasie gehen überraschende Koalitionen ein und können vom Zuschauer auf ihren Gebrauchswert als Rohstoff für die eigene Erfahrungsbildung hin getestet werden. Die in immer wieder anderen Zusammenhängen kursierenden Fragmente nötigen dem Zuschauer kein rasches Verstehen ab, sondern konfrontieren ihn mit der Möglichkeit, daß er hier zurückgewinnen kann, was die unausgesetzte Bilder- und Datenflut ihm zu nehmen droht: Zeit als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Frieda Grafe schrieb über Kluges Magazine erhellend: "Die Bilder argumentieren, das Sprechen mimt. Daß Fernsehtext, gewebt aus beiden, die alte Leserichtung umorientiert hat, wird bestürzend sichtbar, wenn die Laufschriften von rechts nach links sich durchs Bild bewegen. Definition wird mit den neuen Bildern als Auflösung übersetzt. Sprache ist wirklich praktisches Bewußtsein."
Auch Kluges Interviews verhalten sich konträr zu den Regeln des Genres. Sie werden nicht in einem Studio aufgezeichnet, sondern in Kluges Münchner Arbeitswohnung oder an öffentlichen Orten, deren Geräuschkulisse oft die Gespräche grundiert. Gedreht mit nur einer Kamera verzichten sie gänzlich auf die gewohnten Wechsel von Schuß und Gegenschuß und fokussieren den Gesprächspartner nicht selten über die Dauer einer ganzen Sendung in Nah- und Großaufnahmen, während Kluges Stimme aus dem off zu vernehmen ist. Wieder geht es um Zeitgewinn durch Verlangsamung: "Daß die Dauer nicht beschnitten wird, ist wichtiger als jeder Inhalt." Der Zuschauer ist Zeuge eines Gesprächs, das immer schon begonnen hat und das auch mit dem Ende der Sendung nicht zum Abschluß gekommen ist. Mehr noch als das explizite Thema - ein neues Buch, ein Film, eine aktuelle Operninszenierung etc. - ist die Form des Sprechens der eigentliche Gegenstand dieser Sendungen , der Sprechakt selber wird als Denkform ausgestellt, die sekundäre Rede über etwas, wie sie in den gängigen Formen des Genres praktiziert wird, ist bei Kluge stets zugleich genuiner Ausdruck, etwas Primäres, das hinter dem Kommentierten nicht zurücksteht. Legendär in dieser Hinsicht sind die Sendungen mit dem Dramatiker Heiner Müller, die nicht nur Einblicke in die Produktionsweisen zweier in vielem verwandter Autoren erlaubten, sondern darüber hinaus die - allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden' (Kleist) als ein fernsehtaugliches Genre definierten - Gespräche, die bis zu Müllers Tod zu einem eigenen work in progress angewachsen waren. Andere wiederkehrende Dialogpartner sind der Goethe- und Japankenner Manfred Osten, der Soziologe (und philosophische Koautor Kluges) Oskar Negt, die Proust-Spezialistin und kongeniale Übersetzerin Ulrike Sprenger, der Opernregisseur Peter Konwitschny, der Kriminalsoziologe Joachim Kersten, Christoph Schlingensief und der Produzent und Autor Peter Berling, mit dem Kluge regelmäßig fake-Gespräche führt, slapstick-Dialoge, die die historische Wirklichkeit in den Konjunktiv setzen, phantasievoll zuspitzend und solange überbietend, bis sie ihre grotesken Züge zu erkennen gibt.
Wie seine Montage-Essays die disparatesten Materialien zu weiträumigen Konstellationen zusammenfügen, so versammeln sich in Kluges Gesprächssendungen eine Vielzahl verschiedener Tonlagen zu einem eigenen dialogischen Kosmos, in dem sich für die verschiedensten Bedürfnisse und Interessen brauchbare Modelle lebendiger Kommunikation finden lassen; Modelle, die - stößt man auf sie - ihrerseits Kommunikation in Gang setzen.

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