Vaseline statt Kontur

Von Christina Nord | | Presse

Fatih Akin kann sich freuen. Mit vier Auszeichnungen war sein Film "Auf der anderen Seite" eindeutiger Gewinner des Deutschen Filmpreises. Der beleidigte Til Schweiger feierte seine eigene Party

Alle Widersprüchlichkeit des Abends verdichtet sich in einem Augenblick. Bevor die Entscheidung über die beste Bildgestaltung bekanntgegeben wird, haben die nominierten Kameramänner via Videoeinspielung Gelegenheit, ihr Konzept zu umreißen. Benedict Neuenfels beschreibt, wie er für "Liebesleben" Vaseline auf Glasplatten gegeben und vors Objektiv geschoben hat, um wie umnebelt wirkende Bilder zu erzeugen. Gleich darauf erläutert Hans Fromm, dass er für "Yella" nüchterne, klare Bilder finden wollte, gerade weil der Film in einem Zwischenreich von Traum, Tod und New-Economy-Wirklichkeit spielt. Alles, bloß keine Riffelglasfilter!

Die beiden Aussagen treffen hart aufeinander. Zweimal gilt es, Bilder für traumartige, somnambule Zustände zu finden, einmal heißt die Lösung Vaseline, das andere Mal klare Kontur. Die Filmakademie gibt, das nimmt nicht wunder, der Vaseline den Vorzug vor der Kontur. Die Kunstfertigkeit, die auf den ersten Blick ins Auge sticht, hat mehr Freunde als die Zurückhaltung, das Spröde. "Ich entschuldige mich bei Hans für die Filter", sagt Neuenfels, als er die Lola in den Händen hält. Ein versöhnlicher Satz, der gleichwohl nicht verbergen kann, wer den Preis und das Preisgeld mit nach Hause nimmt. Er passt er zu den vielen diplomatischen Sätzen, die am Freitagabend im Palais am Funkturm fallen. So viele Positionen verkeilen sich hart, lösen sich dann aber doch im pluralistischen Nebeneinander. Nur das Preisgeld ergreift Partei.

Man kann das als großen Vorzug sehen. Die Filmakademie mit ihren mehr als 1.000 Mitgliedern ist demokratisch verfasst, widerstreitende Standpunkte sind deshalb unausweichlich und werden nicht versteckt, sondern zur Sprache gebracht. Das gilt bei weitem nicht nur für den ästhetischen Dissens von Neuenfels und Fromm. Kaum etwa gibt Barbara Schöneberger, die Moderatorin des Abends, die typischen Floskeln gegen das Raubkopieren und für das Kino als einzigen Ort der Filmerfahrung zum Besten, sprechen der Regisseur Tom Tykwer und der Ehrenpreisträger Alexander Kluge über die Zukunft des Kinos jenseits der Kinoleinwand. Das alles passt also in diese Akademie: Die Phrasen wie die eloquente, hellsichtige Reflexion darauf, dass sich das Kino zurzeit in seinen Grundfesten verändert.

Diese Pluralität und diese Offenheit sind Grund zur Freude, wenn auch nicht ohne Einschränkung. Denn bisweilen wünscht man sich in all diesem diplomatischen Nebeneinander, dass einer eine Position bezieht, behauptet und verteidigt - umso mehr, wenn ein prominentes Mitglied der Akademie, Til Schweiger, seit Monaten nervt, weil sein an der Kasse sehr erfolgreicher Film "Keinohrhasen" nicht nominiert ist. Schweiger ist deshalb aus der Akademie ausgetreten, hat es sich bald anders überlegt, ist wieder eingetreten und hat erneut mit Austritt gedroht. Er trägt sich außerdem mit Plänen, eine eigene Preisgala auszurichten, und er veranstaltet am Freitagabend parallel zum Fest im Palais im Funkturm seine eigene Party in einem Club in Berlin-Mitte. Anstatt dass nun einer derjenigen, die im Lauf der langen Gala auf die Bühne treten, Schweiger sagt, was für ein albernes Verhalten er an den Tag legt, machen alle gute Miene zum bösen Spiel - vor allem der Mann, dessen Staatsministerium die Gelder zur Verfügung stellt. "Es ist heutzutage eine bestaunenswerte Leistung, sechs Millionen Menschen ins Kino zu bringen", sagt Bernd Neumann. "Dazu gratuliere ich Til Schweiger von ganzem Herzen."

Uneingeschränkt freuen kann sich Fatih Akin. Sein Film "Auf der anderen Seite" bekommt vier Lolas, darunter in den entscheidenden Kategorien bester Film, beste Regie und bestes Drehbuch. Christian Petzolds Film "Yella" dagegen geht - mit Ausnahme des Preises für die Schauspielerin Nina Hoss - leer aus. Wer hoffte, die Akademie ließe endlich einmal einen Vertreter der Berliner Schule zu Recht und Würden kommen, wird auch in diesem Jahr enttäuscht.

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