Helge Schneider und der Lungenzug

Von Eckhard Fuhr | Quelle Welt online - www.welt.de | | Presse

Geld ist nicht alles: In der DVD-Edition "Früchte des Vertrauens" setzt sich Alexander Kluge mit der Finanzkrise auseinander

Hoch droben auf den Gipfeln, heißen sie nun K2 oder G8, dort also, wo die Luft dünn wird, braucht man Sherpas, Leute die sich mit dem Überleben in großer Höhe auskennen. Helge Schneider ist solch ein Sherpa, das sieht man gleich. Er trägt eine Pelzmütze, seinen nackten Oberkörper deckt notdürftig eine Schaffell-Weste, die Augen schützt er mit einer runden Sonnenbrille, in deren fast schwarzen Gläsern sich die züngelnde Flamme seines riesigen "Spezialfeuerzeugs" spiegelt, mit dem er Selbstgedrehte anzündet. Alexander Kluge ist zu ihm hinauf gestiegen auf die unwirtliche Höhe und beginnt ihn aus dem Off mit großer Ernsthaftigkeit über die Probleme des Rauchens unter Bedingungen des Sauerstoffmangels zu befragen. Es entspinnt sich ein surrealistischer Dialog über Speziallungen und letzte Zigaretten, die Sherpa Schneider schon manchem politischen und alpinistischen Gipfelstürmer verpasst hat.

Was hat ein Gespräch über das Rauchen mit der Finanzkrise zu tun? Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Tatsache, dass die westlichen Gesellschaften, denen die Finanzkrise möglicherweise gerade die Lebensgrundlagen vernichtet, offenbar nichts Wichtigeres zu tun haben, als sich das Rauchen abzugewöhnen. Als Kluge am Sonntagabend bei der Präsentation seines neuen, zehnstündigen DVD-Werkes "Früchte des Vertrauens" in der Berliner Volksbühne auf diese merkwürdige Tatsache hinwies, füllte sich das Theater keineswegs mit rebellischem Zigarettenqualm. Das kapitalismuskritische Publikum erkennt den "Nichtraucherschutz" noch nicht als die Facette des großen Verblendungszusammenhangs, die sie ist. So hätte man früher argumentiert, als ein Bodensatz von Marx und Frankfurter Schule in jedem kritischen Hirn vermutet werden konnte. Heute kann nur noch Sherpa Helge Schneider mit einem Lungenzug das Große und Ganze erfassen. Das sterbliche Fußvolk ist auf Bilder und Geschichten angewiesen, und ob die am Ende sich zu einer Großen Erzählung fügen, das kommt auf die Augen und den Kopf jedes Einzelnen an.

Futter für den eigenen Film im Kopf legt Kluge seinen Zuschauern überreichlich vor. Zehn Stunden Material enthalten die vier DVDs, die jetzt in der "filmedition suhrkamp" mit grasgrünem Cover auf den Markt gekommen sind. Die Bio-Farbe passt ganz gut, denn die Edition ist ein Produkt nachhaltiger Bewirtschaftung von Kluges Fernseh-Plantage dctp.TV. Nach seiner Verfilmung von Marx' "Kapital" ("Nachrichten aus der ideologischen Antike"), die Anfang des Jahres ebenfalls bei Suhrkamp heraus kam, ist das nun der zweite Beweis, dass Kluges Wirtschaftsweise in geistiger Hinsicht jedenfalls funktioniert. Was er liefert, wirkt ungemein frisch.

Was nun das eigentliche Thema, die Finanzkrise angeht, so ist der Ausflug in die landwirtschaftliche Metaphorik durchaus angemessen. Es geht Kluge um den nachhaltigen Anbau eigensinniger Gedanken, wachen Geschichtsbewusstseins und um die Pflege des Sinnes für das Einmalige und Schöne. Von diesen Früchten nährt sich das Humane, das Grundvertrauen, das jeder Mensch in dieser Welt braucht, sobald er zu atmen beginnt. Auch das Geld ist reine Vertrauenssache. Doch immer wieder enttäuscht es das in es gesetzte Vertrauen - und immer wieder ergießen sich Vertrauensströme in neue Währungen. Es bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als zu vertrauen. Teil I der DVD-Edition setzt sich mit diesem merkwürdigen Ding "Geld" auseinander. Teil II führt in Situationen, in denen Geld überhaupt nichts ausrichten kann. Teil III widmet sich dem Zigarettenanzünden in dünner Luft und Teil IV fragt, worauf wir uns noch verlassen können. Christian Petzold, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar und Tom Tykwer sind mit Kurz- und Kürzestfilmen dabei. Martin Wuttke liest Märchen, Sophie Rois rezitiert Schillers "Bürgschaft". Enzensberger, Luhmann, Negt, Dahrendorf und viele andere steuern Gedanken bei. Helge Schneider tritt in wechselnden Rollen auf. Krise der Ökonomie bedeutet nicht Krise des Denkens.

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