Einer, der Fernsehen als Hörspiel begreift

Von Frank Olbert | Quelle Kölner Stadt-Anzeiger | | Aktuelles

Der Filmemacher, Fernsehproduzent und Drehbuchautor Alexander Kluge erhält den Adolf-Grimme-Preis für sein Lebenswerk. Alexander Kluges Eingriff in die geölte Maschinerie der elektronischen Medien ist vielfältig, überraschend und individuell.

Wer einmal auf das bundesdeutsche Preiskarussell aufgesprungen ist, der kann relativ sicher sein, dass nach der ersten Auszeichnung bald die zweite und dritte Trophäe winkt. Alexander Kluge hat dieses Prinzip gewissermaßen potenziert: Wahlweise kann man den Filmemacher, den Schriftsteller, den Journalisten oder den Philosophen ehren, und so ist Kluge Träger diverser Filmpreise, des Georg-Büchner-Preises und des Bremer Literaturpreises sowie zweier Adolf-Grimme-Preise für sein mediales Schaffen. Nun ehrt ihn das Marler Medien-Institut zum dritten Mal, und zwar definitiv und endgültig: mit dem Preis fürs Lebenswerk, so dass man jetzt „Basta“ sagen kann.

Stimme bohrt sich ins Ohr

Alexander Kluges Eingriff in die geölte Maschinerie der elektronischen Medien ist vielfältig, überraschend und individuell. Irgendwie hat er das Fernsehen auch immer als eine Art Hörspiel begriffen und sich selbst zum Hauptdarsteller gemacht - legendär sind seine Reportagen, Essays und Interviews, deren Sendezeit nie auszureichen schien für all das, was er zu sagen hatte: mit einer atemlosen, vor intellektueller Erregbarkeit sich schier überschlagenden Stimme, die leise und heiser ist und sich dennoch ins Ohr bohrt. Kluge kann den größten Unsinn von sich geben: Viel wichtiger als das, was er sagt, ist die Art, wie er es sagt, und so kann er aus der Behauptung, ein kollektiver Luftsprung aller Chinesen würde die Erde aus der Bahn werfen, eine ganze Philosophie destillieren, ohne dass sich jemand beschwert.

Einer wie er hat das Zeug zum medialen Partisanen: Kluge konnte es kaum erwarten, bis die privaten Fernsehsender Mitte der 80er Jahre ihr geistig stark limitiertes Programm aufnahmen, um auf die von der Politik garantierten „Sendefenster“ zu dringen. Mit seiner eigenen Produktionsfirma „Development Company for Television Programs“, kurz DCTP, legte er unabhängig vom Quotendruck Kulturmagazine wie „Zehn vor Elf / Ten to Eleven“ und politische Sendungen wie das „Spiegel TV“ auf. In solchem Widerstand gegen Helmut Thomas Parole, im Seichten könne man nicht untergehen, konnte der damalige RTL-Chef bloß eines erkennen: Wegelagerei.

Als Filmemacher und Autor ist Alexander Kluge absoluter Zeitgenossenschaft verpflichtet, seine Technik besteht oft aus der assoziativen Montage. Er war beteiligt an Filmen wie „Deutschland im Herbst“ über den Schock des Terrorismus und die Einschränkung der Freiheitsrechte, an „Der Kandidat“ über Franz Josef Strauß und an „Krieg und Frieden“, einer kritischen Beschäftigung mit der Nachrüstung Anfang der 80er Jahre. Seine voluminöse „Chronik der Gefühle“ ist eine Art Bestandsaufnahme des 20. Jahrhunderts und dessen Totalitarismen - auch seine Erfahrung des Bombenkriegs kommt darin vor, den der 1932 geborene Kluge in seiner Heimat Halberstadt er- und nur um ein Haar überlebte.

Ein Mann des Rollenwechsels

In seiner weit gefächerten Nutzung visueller, schriftlicher und auch akustischer Medien ist Kluge unter den deutschen Intellektuellen nahezu ein Unikat; auch seine Rollenwechsel macht ihm so rasch keiner nach: Er war Hochschullehrer, er veränderte als Produzent gleichsam hinter den Kulissen die Struktur der elektronischen Medien, und er bewies als Vordenker des Neuen Deutschen Films Sinn für die Zeichen der Zeit in Abkehr vom vermufften Kinobetrieb der 60er Jahre. Einen wie ihn kann man nicht in eine Schublade stecken. Für Alexander Kluge gilt nur eins, wie Jan Philip Reemtsma in seiner Laudation zum Büchner-Preis feststellte: Die „Gattung Kluge.“

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