Hubert Burda – "Wir erleben die digitale Revolution"

Quelle Die Welt online | | Gespräche

Was wir von der Renaissance und Andy Warhol über Medienwandel lernen können: Verleger Hubert Burda spricht mit Alexander Kluge

Zwei Entwicklungen bestimmen unsere mediale Gegenwart, sagt der Zeitschriftenverleger Hubert Burda: Der Anbruch des digitalen Zeitalters; und der "Iconic Turn", die stetig wachsende Bedeutung von Bildern. Kein Grund zur Besorgnis, meint er im Gespräch mit Alexander Kluge und in seinem Buch "In medias res": Gegen das Gefühl der Überforderung durch Informationen findet unsere Wahrnehmung neue Anker.

Alexander Kluge: Herr Burda, was bedeutet Schwellenzeit?

Hubert Burda: Schwellenzeiten entstehen, wenn historisch eine Epoche zu Ende geht und eine neue beginnt. Die Zeit um 1500 war durch zwei große Ereignisse gekennzeichnet, die Entdeckung von Amerika und die Gutenbergsche Buchdruckerkunst. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir auch heute in einer solchen Schwellenzeit leben. Gegenwärtig erleben wir die digitale Revolution.

Kluge: Und mit ihr den Iconic Turn, also die wachsende Bedeutung der Visualität. Dieses Thema beschäftigt Sie seit längerem.

Burda: Ja, mein Buch thematisiert das Verhältnis von Text und Bild, von Semantic Turn und Iconic Turn. Nachdem ich Anfang 2010 den Vorstandsvorsitz abgegeben hatte, hatte ich im Sommer zum ersten Mal drei Wochen Ferien am Stück und damit Zeit zum Reflektieren. So kam es zu dem Buch. Der Titel, der von Horaz stammt, bedeutet "schnell in die Mitte der Dinge".

Kluge: Auf einer Doppelseite haben Sie in Ihrer Handschrift – gegen den Uhrzeigersinn – zehn Punkte aufgezählt, um die es Ihnen geht. Sie beginnen mit: "Der andere Blick aus dem Fenster". Im Buch ist Jan van Eycks Bild eines burgundischen Kanzlers zu sehen, der der Mutter Gottes gegenübersitzt. Man blickt durch das Fenster auf eine Landschaft, die surreal wirkt.

Burda: Die Frage ist: Was bringt den Weltgeist nach vorne? In der Zeit von Jan van Eyck und Rogier van der Weyden fingen die Menschen an, die Welt zu vermessen. Der Weltgeist um 1400 war der frühkapitalistische Geist. Das Bankwesen bildete sich aus, in Brügge öffnete die erste Börse. Auf den Märkten wurde genau gemessen und gewogen, bevor gekauft wurde. Dieser Blick des Messens führte in der Malerei zum Beginn des Realismus. In Hans Holbeins Gemälde "Der Kaufmann Georg Gisze" sehen Sie den Phänotyp dieser Zeit, den Kaufmann. Jakob Fugger war einer der größten unter ihnen, und in Italien prägten die Medici dieses Bild…

Kluge: Das ist der Homo Novus, der neue, der bewegliche Mensch. Zunächst zu Lande, auf Fuhrwerken, auf den Straßen, dann bald auch maritim.

Burda: Ja, mit einem Mal geht der Handel in Venedig zurück und verlagert sich Richtung Antwerpen. Die Stadt wird ein Zentrum der neuen, maritimen Kommunikation. Übrigens zieht es auch Dürer 1523 dorthin. Er ist ein geschickter Geschäftsmann, ein Verleger der Extraklasse. Es gab nun zwei große Wege des Handels, die alten terrestrischen und die maritimen. Übertragen auf die heutige mediale Welt wurden die alten terrestrischen Kommunikationswege ergänzt durch die schnellen digitalen.

Kluge: In Ihrem Buch ist ein Emblem mit einem Anker und einem Delphin. Das Zeichen bedeutet "Festina lente": "Eile mit Weile".

Burda: Das ist so etwas wie mein Berufssymbol und daher auch meine Imprese. Es stammt vom Buchdrucker und Verleger Aldus Manutius, der um 1500 in Venedig lebte. Es verbindet die Festigkeit des Ankers mit der Schnelligkeit des Delphins. Letztlich soll damit die Notwendigkeit des Wandels ausgedrückt werden.

Kluge: Dem Delphin wird in der Antike nachgesagt, dass er Kinder rettet und ein Glücksbringer ist.

Burda: Das Schöne an einem Wandlungsprozess ist, dass man den Mut haben muss anzufangen, auch wenn man das Ende nicht kennt. Entscheidend ist dabei, den Rahmen zu finden. Er ist die Hilfe gegen das Zuviel an Information und bietet Einordnung und Fokussierung, so wie der Bilderrahmen. Rahmen ist gleichbedeutend mit Kontext.?

Kluge: Sie sind 1940 geboren und zehn Jahre alt, als das Wirtschaftswunder beginnt. In den 60ern fangen sich die Dinge neu zu bewegen an: Die Kuba-Krise, die "Spiegel"-Krise. Da sind Sie ein junger Mensch von 20 Jahren. Im Jahr der Protestbewegung bekommen Sie Ihr erstes Kind. 1990 sind Sie im goetheschen Sinne "ein Mann von 50 Jahren". Ab diesem Moment blickt man wie ein Januskopf auf zwei verschiedene Seiten des Lebens …

Burda: Nach dem Studium der Kunstgeschichte an der Münchner Universität erlebte ich einen echten Rahmenbruch. Ich kam aus einer Welt, die aus Schwabing – damals ein Zentrum sozialer Utopien –, dem Oberseminar und philosophischen Diskussionen bestand. Der Versuch, mit einer neuen Zeitschrift – sie hieß "m" – etwas Anderes zu machen, war gescheitert. Ich wusste aber: Wenn ich als Verleger erfolgreich sein will, muss ich Chefredakteur gewesen sein. So übernahm ich Mitte der 70er die Chefredaktion von "Bunte", die ich zu einem People- und Celebrity-Magazin machte. Andy Warhol war dann eigentlich derjenige, der mir zum ersten Mal wieder eine gewisse Sicherheit gegeben hat, indem er sagte: "Oh Hubert, we both are doing the same". Das Bild auf dem Cover meines Buches kennzeichnet eine wesentliche Dynamik gerade des 20. sowie auch noch des 21. Jahrhunderts: Das Wechselverhältnis von Hochkultur und Pop- beziehungsweise Massenkultur ist sehr intensiv, hier kommt es immer wieder zu Umwertungen und Symbiosen, die vieles neu codieren und in andere Rahmen stellen. Ich glaube zutiefst, dass die Geschichte der modernen Malerei – und nicht nur sie – ein permanenter Pendelschlag zwischen high und low ist

Kluge: Beides, high und low, sind in einer Art Symbiose, in einer Evolution begriffen, und das macht uns Menschen aus …

Burda: … gewissermaßen wie die zwei Seiten in unserem Gehirn, die über das Corpus Callosum verbunden sind. Alles was wir tun, jede Art von Kreativität, kann durch ein Wort, einen Geruch oder ein Gefühl ausgelöst werden. Immer wieder wandern wir von der rechten zur linken Hirnhälfte und umgekehrt.

Kluge: Nun bewegen Sie sich in Ihrem Buch auf einem Spielfeld mit wunderbaren Fürsten wie Peter Sloterdijk, Horst Bredekamp, Friedrich Kittler oder Bazon Brock …

Burda: … oder Hans Belting. Er war auch der Doktorvater meines Sohnes Felix, dem das Buch gewidmet ist. Belting verdanke ich die entscheidende Metapher, dass die Bilder von außen nach innen gehen wie in einer Blackbox. Sie bleiben dort in unserem Hirn wie in einer Camera Obscura, aber sie müssen sich dann wieder nach außen in Bewegung setzen. Diese Projektionsfläche nach außen ist der Grund für die Erfindung der Fotografie und des Films. In diesem Moment, wo wir kreativ sind, gehen die Bilder wieder nach außen, dann spürt man so etwas wie eine große Befreiung. Diese Art von Anthropologie der Bilder hat Belting beschrieben.

Kluge: Sie schreiben: "Jedes Interface hat sein eigenes Gesetz".

Burda: Ein Interface ist eine Schnittfläche. Nehmen wir die Erfindung des Papiers, eine Geschichte, die für uns 1320 in Basel beginnt. Plötzlich ist das Papier da, weil das Konzil von Konstanz viel Papier braucht. Und danach weiß man 50, 60 Jahre kaum, was man damit tun kann. So wenig wie man zunächst wusste, was man mit dem Computer tun kann, bis Bill Gates den Personal Computer entwickelte (und die digitale Welt damit demokratisierte, wie es einst Gutenberg mit der Erfindung der beweglichen Lettern tat). Denn seinerzeit kam zum Papier die Buchdruckerkunst dazu. Auch das Fernsehen hielt sich im Grunde zuerst nur für die Fortsetzung von Theater. Und ähnlich vermutete man, als Online aufkam, es sei nur ein anderer Vertriebsweg für Zeitschriften. Heute unterscheidet man Zeitschrifteninhalte sehr genau von Online-Inhalten. Diese Schnittflächen haben über die Jahrhunderte hinweg ganz bestimmte Eigenschaften. Denken Sie etwa auch an die Glasfenster in einer Kathedrale. Auch sie sind ein Interface mit eigenen Gesetzen, wird auf ihnen doch alles diaphan.

Kluge: Dort dringt das Himmelslicht herein. In Ihrem Buch sagt Peter Sloterdijk, dass Texte, die zum Bild werden, etwas Pfingstliches enthalten. Damit meint er das Licht …

Burda: … Deus lumen est, Gott ist das Licht. Daher auch die Glasfenster.

Kluge: Von denen noch das Fernsehen einen Abglanz bildet. Insofern ist das Fernsehen kulturhistorisch bedeutender, als es selbst vielleicht weiß.

Burda: Zehn Jahre nach dem Aufkommen des Internets sehen wir, dass der einfache Satz "content is king" auf die einzelnen Schnittstellen überprüft werden muss. Ich kann nur jedem Verleger raten, mit diesen neuen Techniken zu arbeiten und umzugehen – und zugleich mit den Tücken der Übergänge zu rechnen.

Kluge: Sodass, wenn man die Geschichte zum Beispiel von Romeo und Julia in sieben verschiedenen Medien erzählt, es sieben verschiedene Geschichten wären. Das hat etwas von einem Prisma.

Burda: Das sind alles Antworten auf die Bilderflut. Sie hat nur dann etwas Erschreckendes, wenn man den Rahmen nicht findet. Und den Rahmen findet man durch die Beschäftigung mit der Geschichte der Bilder. Nur aus der Geschichte der Bilder, entsteht der Rahmen.

Kluge: Warum zitieren Sie ein Bild aus der Zeit der Medici: Die Heiligen drei Könige?

Burda: Wenn ich in Florenz bin, gehe ich immer zu diesem Bild, weil hier die Geschichte einer Familie abgebildet ist, die den Mut hatte, sich selber darzustellen. Denn es geht ja um die Familie der Medici. Mit dem jungen Lorenzo auf dem Pferd und dahinter Cosimo. Und vorne reitet der Bischof von Konstantinopel. Nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken ist er nach Florenz entkommen. Die Medici sagen mit diesem Bild: wir sind intellektuell die führende Familie in Europa. Und unseren Geldhandel betreiben wir über die Alpen hinweg bis nach Brügge und Gent. Das Bild ist eine Repräsentation von Macht. Man kann dieses Bild nicht verstehen, wenn man es nicht lesen kann.

Kluge: Im Buch ist eine Münze von Kaiser Augustus. Bilder, sagen Sie, sind ursprünglich ortsfest, und später beginnen sie zu wandern. Mit dieser Münze wandert ein Stück Geld, aber auch die Autorität des Kaisers, also ein Stück Macht.

Burda: Hier ist eine Nahtstelle zur Moderne, die Andy Warhol mit seinem Satz bezeichnet: "Images must be shared". Nach dem Motto: "Expose yourself". Nimm dein Bild, mach’ es groß, publiziere es und schick es auf Wanderschaft. Augustus war der erste Kaiser, der etwas von der Macht der "wandernden Bilder", also des Kaiserbilds auf der Münze, gewusst hat.

Kluge: Ein wandernder Tempel.

Burda: Das war das Phantastische an ihm, dass er der erste war, der sein Bild eingesetzt und sich dadurch über das ganze Weltreich verbreitet hat.

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