Könnte doch aber!

Von Alexander Müller | Quelle www.literaturkritik.de Nr. 11, November 2003 | | Rezensionen

Kluges Fernsehen. Alexander Kluges Kulturmagazine

Da es in den verschiedenen Aufsätzen des vorliegenden Bandes vielfach dargestellt wurde und den Kern der Untersuchung bildet, sei es vorweg knapp rekapituliert: Der medienpolitisch engagierte Autor und Filmemacher Alexander Kluge, der in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis erhalten hat, gründete am 12. Februar 1987 gemeinsam mit der japanischen Werbeagentur Dentsu Inc. die Development Company for TV Program mbH (dctp), zu denen 1991 der Spiegel Verlag als Gesellschafter hinzukam. Die dctp besitzt eigene Fernsehlizenzen und ist mit RTL, SAT1 und Vox verbunden. Ermöglicht wurden diese bei den Privatsendern ungeliebten "Kulturfenster" durch eine Klausel des Landesmediengesetzes von Nordrhein-Westfalen, das Sendern, die sich als Vollprogramme verstehen, vorschreibt, im kulturellen Bereich Sendungen von sogenannten "Fremdanbietern" auszustrahlen. Neben populäreren Formaten wie "Spiegel-TV" oder "Stern-TV" wurden vor allem Kluges Magazine "10 vor 11", "News & Stories" und "Prime-Time/Spätausgabe" als "Fernsehen der Autoren" kostengünstig produziert.

Von diesen Fernsehformaten, die als "Quotenkiller", "elektronische Wegelagerer" und "Zwölftonmusik im Zirkus" (Helmut Thoma) auf nicht wenig Widerstand der betroffenen Sender stießen, handelt "Kluges Fernsehen". Renommierte Medienwissenschaftler und Publizisten wie Georg Seeßlen oder Klaus Kreimeier, um nur zwei zu nennen, widmen sich einzelnen Aspekten der Magazine, wobei generell festzuhalten ist, dass keine grundsätzliche Kritik an Kluges Fernsehen geübt wird. Da ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, wenn es zu zahlreichen Wiederholungen kommt, etwa wenn es immer wieder darum geht, die spezifischen Qualitäten von Kluges Sendungen gegenüber anderen vergleichbaren Formaten herauszuarbeiten. Seltsamer Weise wird diesbezüglich gleich mehrfach der Terminus des "Normalfernsehens" aus Michael Rutschkys Beitrag verwendet, obwohl dieser doch denkbar unpräzise ist, selbst wenn jeder ahnt, was damit gemeint ist.

Zur Schlüsselszene, die Motivation und Intention der TV-Sendungen erklären soll, wird oft eine Sequenz aus Kluges Film "Die Macht der Gefühle" angeführt, in der ein Kammersänger einer Reporterin Rede und Antwort steht. Der Kammersänger ist berühmt für seinen leidenschaftlichen, hoffnungsvollen Ausdruck im ersten Akt, obgleich er doch nach 83 Aufführungen den schrecklichen Ausgang des Stückes kennen müsste. Gemäß Kluges Kategorien des "Eigensinns" und des "Möglichkeitssinns" behauptet der Kammersänger aber selbst am Ende des Interviews noch, das Stück "könnte doch aber" gut ausgehen. Dies wird verschiedentlich ausgelegt im Sinne eines utopischen Gehalts der Fernsehkonzeption, ausführlicher jedoch von Rainer Stollmann im Sinne einer grotesken Lakonie, die Kluges spezifischen Humor in der Tradition z. B. von Rabelais kennzeichne. Davon kann sich der Leser schließlich zusätzlich in vier exemplarischen Interviewnachschriften aus Kluges Sendungen selbst überzeugen; bedauerlich ist allein, dass keines der häufig erwähnten, exzeptionell absurden Fake-Interviews mit Peter Berling nachgedruckt wurde.

Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit der prägnanten Interviewtechnik Kluges, mit der Vermittlung von Geschichte im allgemeinen und einmal der Filmgeschichte im besonderen, und Knut Hickethier versucht sich gar an einer scharfsinnigen Einordnung von Kluges Kulturmagazinen in die Fernsehgeschichte. Darüber hinaus werden in beinahe allen Beiträgen theoretische Grundlagen für Kluges Herangehensweise fundiert dargestellt, sei es im Bezug auf die eigenen konzeptionellen und sozialwissenschaftlichen Äußerungen des Autors, betreffs seiner Bevorzugung von Vorstellungen der Moderne (und seiner vehementen Abwehr der Postmoderne) oder auch im Vergleich mit anderen Autorenfilmern bzw. ihren Projekten, wobei Jean-Luc Godards "Histoire[s] du cinéma" sicherlich hervorzuheben ist. Bei der Bewertung von Historienvermittlung im Fernsehen kommt es ausnahmsweise doch noch zu einem unfreiwilligen Widerspruch zweier Autoren: So pauschalisiert Stollmann vorschnell, "von einigen Ausnahmen (manches auf Spiegel-TV etwa) abgesehen", dass das "Leitmedium unserer Zeit eifrig damit beschäftigt ist, jegliches Geschichtsbewusstsein im Keim zu ersticken." Dies wird weder eindeutig qualitativ oder quantitativ begründet. Winfried Siebers hat in seiner Untersuchung zur "Zeitgeschichte im Fernsehen der Autoren" hingegen festgestellt, dass von einem "Mangel an Geschichtsvermittlung im Fernsehen" keine Rede sein könne, was er quantitativ begründet, um anschließend inhaltliche und konzeptionell-methodische Unterschiede zwischen Guido Knopp und Alexander Kluge - um es auch einmal polemisch zuzuspitzen - zu erörtern. Insgesamt, sieht man davon ab, dass leider keine Gesamtbibliographie der gesichteten Sekundärliteratur vorhanden ist, führt "Kluges Fernsehen" zumeist schlüssig und kenntnisreich in das TV-Schaffen eines dezidierten Autors ein, der gerade dieses vermeintliche Paradoxon - Schriftsteller als TV-Produzent - aufzulösen versucht. Wie seine "Gegenproduktion" entsteht, ist hier nachzulesen, bis man irgendwann nach 0:00 Uhr wieder Kluge selbst einschalten kann.