Alexander Kluges «Liebesgeschichten»

Von Herbert Heinzelmann | | Rezensionen

Seit Jahrtausenden erzählen die Schriftsteller, die Dichter gar, von der Liebe. Und immer versuchen sie, ihre Leser, in den Zusammenhang der übermächtigen Gefühle zu verstricken. Mitfiebern, mitleiden, mitseufzen mit den großen Leidenschaften ist ihr Ziel. Es geht um Empathie. Auf einer zweiten Ebene mag der Literaturwissenschaftler dann historische oder gesellschaftliche Gründe für das Gelingen oder Scheitern dieser Leidenschaften erforschen. Der Leser genießt das Pathos der Emotionen.

Seit Jahrtausenden erzählen die Schriftsteller, die Dichter gar, von der Liebe. Und immer versuchen sie, ihre Leser, in den Zusammenhang der übermächtigen Gefühle zu verstricken. Mitfiebern, mitleiden, mitseufzen mit den großen Leidenschaften ist ihr Ziel. Es geht um Empathie. Auf einer zweiten Ebene mag der Literaturwissenschaftler dann historische oder gesellschaftliche Gründe für das Gelingen oder Scheitern dieser Leidenschaften erforschen. Der Leser genießt das Pathos der Emotionen.

Wie produziert man Sinnlichkeit?

Jetzt aber gibt es Alexander Kluge, den Medienmacher, die Befrager, den Autor. Als Autor erzählt auch er von der Liebe. Doch bei ihm fühlt sie sich anders an. Denn Kluge erzählt von der Arbeit der Hormone, von den Gesetzen der Beziehungs-Ökonomie, von den Strukturen des Gehirns bei der Produktion von Sinnlichkeit, von der Rolle der Medien bei der Objektwahl der Herzen und von den Einflüssen der geschichtlichen Prozesse auf diese Wahl. Kluge lädt den Leser nicht ein, die Liebe mitzuempfinden. Er informiert ihn stattdessen darüber, wie die Liebe funktioniert.

Tatsächlich hat sich Alexander Kluge immer dafür interessiert, wie die Welt funktioniert – und der Mensch in der Welt. All seine Filme, Bücher, Fernsehsendungen handeln davon, forschen danach. Da die «zärtliche Kraft», wie er die Liebe nennt, für das Funktionieren unerlässlich ist – vielleicht war sie ja schon in der evolutionsbiologisch unerlässlichen Teilung der Einzeller wirksam – kommt sie in all seinen Filmen, Büchern und Fernsehsendungen vor.

Diese Werke liefern keine Erklärungen, sondern geben Anregungen, beobachten die Zusammenhänge in ihren Fragmenten. Die Fragmentierung der Liebenden – samt ihrer Sehnsucht sie zu überwinden – gehört unweigerlich dazu.

Jetzt hat Alexander Kluge die Geschichten zur Liebe aus seinen Büchern, Filmen, Fernsehsendungen gesammelt, hat ein paar neue hinzugefügt und das Konvolut unter dem Titel «Das Labyrinth der zärtlichen Kraft» veröffentlicht. Das ist ein Buch mit einer DVD.

Es enthält 166 «Liebesgeschichten» auf über 600 Seiten sowie rund zwei Stunden Bild- und Tonmaterial auf dem Datenträger. Auf der DVD wird unter anderem Nietzsche zitiert, kommt der System-Philosoph Niklas Luhmann zu Wort, geht es um die Beziehung zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky und um das Kraftwerk der Gefühle in Opern wie «Tosca» In dem Buch entfaltet sich das Kaleidoskop von Kluges Ansichten zur Liebe, die unauflöslich aus Zitat, Fiktion und wissenschaftlicher Erkenntnis zusammengesetzt sind.

«Das Labyrinth der zärtlichen Kraft» ist eine faszinierende Lektüre (auch die DVD muss man zu großen Teilen lesen). Denn Alexander Kluge hat eine unnachahmliche Kunstform entwickelt. Aus der sachlichen Beschreibung der objektiven Voraussetzungen für das Gefühl der Liebe entfaltet sich der Regenbogen der größten Emotion. Plötzlich empfindet der Leser aus der rationalen Distanz dieselben Gefühle, die ihm die anderen Verfasser der Weltliteratur stets aufgedrängt hatten. Doch er empfindet sie in neuer Qualität, denn er fängt auch noch damit an, sie intellektuell zu verstehen.

Alexander Kluge: Das Labyrinth der zärtlichen Kraft. 166 Liebesgeschichten und eine DVD. Suhrkamp Verlag, 607 S., 26.80 Euro.


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