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Die Zeichen von Fukushima

Von Sigrid Menzinger | Quelle Deutschlandradio Kultur | | Hörbücher

Alexander Kluge: "Die Pranke der Natur (Und wir Menschen). Das Erdbeben in Japan, das die Welt bewegte, und das Zeichen von Tschernobyl", München 2012

Der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge hat sich immer wieder durch außergewöhnliche Projekte hervorgetan. Jetzt hat er sich mit Fukushima und Tschernobyl auseinandergesetzt und daraus ein Hörbuch gemacht, um die "Zeichen" der beiden Katastrophen zu bewahren.

"The Tsunami warning for Japans Pacific Coast"

"Ein mächtiges Beben entankert das Land
Und es wütet und rüttelt mit Eifer
Ich hab Welten und Schiffe schon einstürzen seh'n
Und doch regt und bewegt sich's stets weiter"


"Das Beben, das Japans Nordinsel um vier Meter nach Osten versetzte, war mit seinem Glockenschlag noch in den Schweizer Bergen zu messen. Der ganze Erdball empfing diesen Puls, dies sind, nach Johannes Kepler, die Akkorde des Planeten Erde. Einige der Töne haben eine Folge von tausend Jahren."


Die Erdbeben-,Tsunami- und Atom-Katastrophe in Fukushima vor einem Jahr ist der Ausgangspunkt für Alexander Kluges Hör-Essay "Die Pranke der Natur". Es geht es ihm darum, wie machtlos wir Menschen solchen Naturgewalten ausgeliefert sind, aber auch menschengemachten Katastrophen:

"Ob etwas aus dem Marianengraben hervorkriecht oder eine fliegende Industrie eine Stadt angreift, das ist unterschiedlich, aber die Wirkung auf Menschen und auf das Trümmergelände hinterher ist gleich. Ob der Vesuv zuschlägt oder ein amerikanisches Luftkommando, kann dem, der stirbt, egal sein."

Und wenn der Mensch überlebt, was macht er mit einer solch grundstürzenden Erfahrung? Wie verhält er sich? Nach dem alliierten Luftangriff auf Halberstadt 1945 zum Beispiel beobachtet der dreizehnjährige Alexander seinen Vater bei einem nur scheinbar völlig irrationalen Tun:

"Mein Vater hat zum Beispiel aus dem schon brennenden Haus auch ein Zigarrenkistchen mit Geld, und eine Zigarrenkiste mit Patientenunterlagen in den Teich gestellt, die waren dann durchweicht, und vom Brand gerettet. Es sind Erinnerungssstücke. Ein Schirm, mitgenommen Es ist wie ein Gleichgewichtsgefühl des Menschen. Er braucht soundsoviel Plunder, um das Wertvolle, das verloren ging, auch die Menschenopfer, dem Schicksal verzeihen zu können."

Kluge bringt hier auch seine eigene Erfahrung ein, in diese Collage aus Berichten, politischen, wissenschaftlichen, philosophischen Texten, aus Interviews und kleinen Szenen. Die nur scheinbar disparaten Einzelteile sind untrennbar mit dem eigentlichen Thema eng verknüpft: Wie der Mensch, zu allen Zeiten, Katastrophen erlebt und wie er damit umgeht.

"Was im zerstörten Lissabon geschehen war, spricht gegen jede Güte Gottes. Wenn ich an Gott glauben könnte, wäre dies der Nachweis seiner Verbrechen."

So hadert Voltaire mit dem Allmächtigen. Und ein bekannter Geologe will - ernsthaft - die Welt durch "Eiszüchtung" vor der weiteren Erwärmung retten.

"Und was ist, wenn das Erdklima gar nicht gerettet werden will durch verdicktes Eis? Dann braucht man unsere Ergebnisse für die Besiedlung der Jupitermonde. Und daran glauben Sie? Woran soll man sonst glauben?"

Eine Wissenschaftlerin fragt:

"Warum entgingen die Frösche der großen Extinktion?"

Helge Schneider zeigt sich beeindruckt von seinem - möglicherweise fiktiven - Besuch in Fukushima:

"Und dann haben se uns mitgenommen zum Atomkraftwerk, in den Bereich, wo man eigentlich nich hindarf. In den Trockenräumen, wo die großen, hyperintelligenten Geräte wohnen, da darf kein Wasser eindringen."

Schließlich begegnen wir noch einer "Rotte von Robotern":

"Mit dem Zwitschern, mit dem sie sich untereinander verständigten, hatten sie sich aus der Menschenwelt entfernt. Waren selig vor Geselligkeit in einer Programmwelt verschwunden. Heißhungrig nach Information, offenbar genusssüchtig."

Man möchte sie knuddeln. Hannelore Hoger genoss diesen Text ganz offensichtlich. Wie überhaupt die zehn Beteiligten an dieser Radioproduktion hörbar engagiert bei der Sache waren. Bestens aufgehoben in Alexander Kluges großer Erzählkunst, die von Humor und Menschenfreundlichkeit kündet und auch von Hoffnung.

"Ohne dass wir uns gegenseitig Geschichten erzählen, haben wir keine Wirklichkeit. Das heißt, wir kriegen eine gewisse Wärme, eine gewisse Temperatur in die Ereignisse hinein. Die wir brauchen. Sozusagen die 37 Grad Celsius der wirklichen Verhältnisse. Und diese Geselligkeit bedeutet, dass zwischen uns Menschen eine Erzählung entsteht. Etwas Wirkliches entsteht. Also der Sitz der Seele ist zwischen zwei Menschen, und nicht in einem Menschen."

Besprochen von Sigrid Menzinger

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