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Der Gau des Geldes

Von Harald Martenstein | Quelle (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 24.11.2009) | | Presse

"Früchte des Vertrauens": Alexander Kluge stellt seinen Film zur Finanzkrise in der Volksbühne vor - und lässt darüber abstimmen.

Alexander Kluge hat in seinen Filmen eine neue Form des Interviews erfunden. Der Interviewer, Kluge, trägt dem Interviewten, dessen Gesicht in Großaufnahme zu sehen ist, aus dem Off einen facettenreichen und hochgebildeten Monolog vor. Die Aufgabe des Interviewten besteht häufig nur darin, auf möglichst intelligente Weise zu nicken und „Ja!“ zu sagen. Besser als jede andere kann dies in Kluges neuem Werk die Schauspielerin Sophie Rois, sie hat für ihr Nicken und ihr Jasagen bei der Premiere in der Berliner Volksbühne zu Recht viel Beifall bekommen.

Kluges Zehn-Stunden-DVD zur Finanzkrise, „Früchte des Vertrauens“, erscheint Ende des Monats in der Suhrkamp-Filmedition und enthält Interviews, Szenen und Kurzfilme bekannter Kollegen wie Christian Petzold, Romuald Karmakar und Tom Tykwer, es ist die klassische, assoziativ dahinströmende KlugeMischung aus Texttafeln, Film und Musik. Daraus hat Kluge nun eine zweistündige Kurzfassung erstellt, die er in der Volksbühne zeigte. Deren Leitgedanke heißt wohl, dass die Grundlage allen Wirtschaftens das Vertrauen der Geschäftspartner ineinander und in das Funktionieren der Spielregeln ist.

So gesehen könne man die aktuelle Krise eher mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl vergleichen als mit dem Börsencrash von 1929. Die Glaubwürdigkeit des Kapitalismus wurde durch einen sehr großen Unfall ähnlich erschüttert wie die Glaubwürdigkeit der Atomindustrie. Eine andere einleuchtende Idee des Films setzt den Psychoboom, den überbordenden Subjektivismus unserer Zeit, in Kontrast zur geringeren Bedeutung des Subjekts im Produktionsprozess. Bei der Arbeit und in der Wirtschaft fühlt der Einzelne sich immer ohnmächtiger und unwichtiger. In der Freizeit werden wir deshalb immer emotionaler und sensibler.

„Früchte des Vertrauens“ ist allerdings das Gegenteil eines Thesenfilms, sondern eine Sammlung von Material, Gedanken, auch entlegenen, und von komischen Einfällen über Geld und Vertrauen. Alexander Kluge ist mit diesem Film ein Gegenentwurf zu Michael Moores „Kapitalismus – eine Liebesgeschichte“ gelungen, der zurzeit in den Kinos läuft. Der im Grunde autoritäre Filmemacher Moore weiß über Gut und Böse, Richtig und Falsch von Anfang an Bescheid. Der ältere, viel verspieltere Kluge betrachtet die Wirklichkeit neugieriger und offener, er lässt den Zuschauern Freiheit.

Wer mit dem speziellen Humor von Helge Schneider bisher nichts anfangen konnte, darf sich hier bekehren lassen. Schneider tritt in verschiedenen Rollen auf, einmal als Dr. Mabuse, ein anderes Mal als Sherpa, am komischsten als österreichischer Biergarten-Kellner, der mit seinen Trinkgeldern an der Börse spekuliert, zum Milliardär wird, den Beruf des Milliardärs als fad empfindet und wieder in seinen Biergarten zurückkehrt.

Wer „Früchte des Vertrauens“ anschaut, kommt sich vor wie jemand, der auf einem Dachboden stöbert und dort Kurioses, Wertvolles, Praktisches, aber auch Überflüssiges entdeckt. Die Fotomontagen sind dilettantisch, die Zwischentexte wirken wegen ihrer Typografie anstrengender als nötig. In der Reihe hinter dem Rezensenten sagte eine Zuschauerin: „Der Vorteil bei der Zehn-Stunden-Fassung ist, dass du auch mal was überspringen kannst.“

Als Kluge aber nach fast zwei Stunden vor das Publikum tritt und es auf freundliche, uneitle Weise darüber abstimmen lässt, ob nun auch noch der dritte Teil des Films gezeigt werden soll oder ob alle nach Hause gehen dürfen, da gewinnt er mit haushoher Mehrheit; die Vorführung wird fortgesetzt. So könnte unterhaltsames und intelligentes Bildungsfernsehen aussehen. Aber so etwas gibt es bei den Öffentlich-Rechtlichen leider nicht.