Alexander Kluge im Gespräch mit Peter Laudenbach

Von Peter Laudenbach | Quelle TIP 7 /03, Berlin vom 27.3.03 | | Interviews

TIP: Alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien, sagt Niklas Luhmann. Was verraten die Fernsehbilder des Krieges darüber, wie sich die Welt im Augenblick verändert?

ALEXANDER KLUGE: Eine Reihenfolge von drei Kriegen: Der Vietnamkrieg war mit Bildern versehen. Diese Bilder haben zur amerikanischen Niederlage in diesem Krieg beigetragen. Im ersten Golfkrieg hat das Militär versucht, Bilder generell zu vermeiden. Es waren nur inszenierte Bilder, die die Öffentlichkeit erreichten. Was jetzt passiert, wirkt eigentümlich bilderlos. Die Vorhersagekraft, das Ahnungsvermögen, das man sonst hat, das verlässt mich hier vollständig. Wir werden Bilder sehen, aber wir werden wissen, dass diese Bilder wenig aussagen. Es wird im Fernsehen furchtbar viele Leute geben, die reden und etwas behaupten. Welche Bilder sollen eigentlich vertrauenswürdig sein, wenn ein Geheimdienstbericht, mit dem die britische Regierung den Krieg legitimieren wollte, aus dem jahrealten Semesteraufsatz eines Studenten stammt. Es wurde nie so viel gelogen wie jetzt. Robin Cook, der zurückgetretene Labour-Fraktionsvorsitzende, hat es im englischen Parlament sehr gut gesagt: Einerseits wird behauptet, der Krieg würde in drei Tagen gewonnen, so schwach sei Saddam Hussein, andererseits soll er eine Weltbedrohung sein.

- Welche Folgen wird der jetzt beginnende Krieg haben?

Das weiß ich so wenig Sie. Ich weiß aber, welche Assoziation dieser Krieg auslöst. Das ist der erste Präventivkrieg seit dem Suez-Krieg von 1956. Im Schatten des Suez-Krieges schlug die Sowjetunion in der selben Woche den Ungarn-Aufstand nieder. Als Echo eines Präventivkrieges entsteht immer etwas anderes, als die Planer denken. Diese begleitendenden Momente des Krieges sind gefährlicher als der Krieg, den man sieht. Es zerbricht etwas, was die Gefahr von Kriegen fünfzig Jahre lang klein gehalten hat, wenn professionelle Leute Diplomatie betreiben. Das ist ein Schaden, den man nicht sofort sehen kann. Es geht um ein Verbrechen gegen Vertragsverhältnisse. Nichts anderes ist das Völkerrecht. Früher wusste man, das sind Nazis, die den totalen, den entgrenzten Krieg machen. Jetzt ist plötzlich eine Macht, von der man dachte, sie steht auf Seiten des Völkerrechts und Menschenrechte, der Angreifer. Ich sehe keine Bilder, sondern die Frage, ob man solche Kriege machen darf. Nicht nur völkerrechtlich, sondern: Dürfen Regierungen ihren Omnipotenzgefühl nachgeben und glauben, sie könnten die Verhältnisse auf dem Globus militärisch beherrschen.

- Wenn man die Rede von Amerika als neuem Imperium ernst nimmt, denkt man unwillkürlich an das Ende des römischen Imperiums: Militärisch erfolgreich, aber im Inneren dekadent, marode, in der Hand von Kriminellen. Ist es das, was im Augenblick mit den USA passiert?

Das glaube ich nicht, die USA sind nicht Rom. Aber ich denke an Karthago. Das war zuletzt nicht einmal mehr eine mittlere Macht, militärisch so wenig bedrohlich wie die Schweiz. Nach zwei Kriegen lag Karthago am Boden. Trotzdem musste ein dritter Punischer Krieg und die vollständige Zerstörung Karthagos durch Rom stattfinden. Die Großmacht Rom häufte ein Bankkonto auf an zerstörerischer Machtausübung. Was Bush macht, ist eine besondere Form der Abschreckung. Abschreckung findet nicht mehr im Kopf statt, als Furcht vor einem Atomkrieg, sondern die Macht demonstriert sich physisch, wie die Folter im Mittelalter. Das ist politische Regression. Was mich dabei besonders beunruhigt, ist das Endzeitdenken, das Frömmlerische. Man hat den Eindruck, dass es in den USA Geister gibt, die sagen, das Jüngste Gericht steht bevor, und wir müssen uns vorbeugend gegen eine Endkatastrophe wehren. Wenn man nicht mehr glaubt, mit realistischen Methoden die Situation in den Griff zu bekommen, greift man zu Heilsgewissheiten: Hier sei eine Prüfung an uns herangetreten. Gott fordert etwas von uns, durch uns hindurch spricht eine höhere Macht. Das ist ein Wahnsystem. Zumindest bei Bush habe ich dieses Empfinden, dass so denkt.

- Der französische Historiker Emmanuel Todd beschreibt den Irak-Krieg als Ersatzhandlung, eine Machtdemonstration mit der die USA den Schock der Verletzlichkeit, das Trauma des 11. September auslöschen wollen.

So als ob der Irrationalismus, der im Terroranschlag vom 11. September steckt, jetzt übergreift auf Washington, wie eine Infektionskrankheit. Der 11. September war ein Riss in der Realität, mit Menschen, die von Beton und Eisen zermalmt werden und in ihren Büros verbrennen. Eine Regierung haftet für den Bestand der Realität, so wie die Pharaonen früher Pyramiden bauten, die den Himmel stützen sollten. Jetzt versucht die Bush-Administration etwas zu finden, wozu ihre Waffen passen. Die Waffensysteme suchen sich die passenden Zielgebiete, sie produzieren einen Feind, den sie mit ihren Gewaltmitteln angreifen können. Einen Tag nach dem Terroranschlag auf die Twin Towers war die US-Kriegsflotte vor New York aufgefahren. Aber gegen Terroristen mit Teppichmessern hilft keine Kriegsflotte. Sinnvoll ist das nur für das Bedürfnis, eine Wirklichkeit wieder herzustellen, in der das Pentagon die Lage unter Kontrolle hätte. Das Pentagon investiert weiter enorme Summe in den satellitengestützten Abwehrschild, und der ist zur Bekämpfung von Terror denkbar ungeeignet. Ich sehe es so, dass ein Kampf um die Ressource Wirklichkeit eingesetzt hat. Man kann ja um alle möglichen Ressourcen kämpfen, um Wasser, um Öl, um Land oder um Gefühle. Und hier steht die Wirklichkeitsbehauptung einer US-Administration gegen die Wirklichkeiten in der Welt. Die Gegenseite, Saddam Hussein, ist ebenso unwirklich, sie ist nicht einmal eine vollwertige Gegenseite. Hussein will beweisen, dass er wirklich ist, wirklich ein Märtyrer oder wirklich Nebukadnezar.

- Was ist die aggressive Wirklichkeitsbehauptung der US-Regierung? Die Behauptung, Gut und Böse definieren und die Welt ordnen zu können?

Aber das kann keiner, die Welt ist zu vielgestaltig. Die Bush-Administration träumt sich eine Wirklichkeit, die dem Omnipotenzwunsch gehorcht, und das tut die Wirklichkeit in der Regel nicht. Ähnlich wie die Boxer, die im Jahr 1900 den Boxeraufstand in China machten, und dachten, die könnten nicht verletzt werden und in dieser Annahme gegen die Maschinengewehre anrannten. Das ist der Kampf von Wirklichkeiten gegeneinander. Wenn solche magischen Vorstellungen auf der Ebene einer hochindustrialisierten Nation mit enormen militärischen Gewaltmitteln und weltweit vernetzter Kommunikation stattfinden, wird es wahnwitzig gefährlich. Ich schreibe gerade ein Buch, das heißt "Die Lücke, die der Teufel lässt". Da geht es um diese neuen Erfahrungen, geisterhafte Erscheinungen, die man im 21. Jahrhundert plötzlich bemerkt, und von denen ich nie angenommen hätte, dass sie wiederkehren könnten. Eigentlich liegen sie weiter zurück als das 16. Jahrhundert. Der Aberglaube, die Ausuferung der Religion, die Begleiterscheinungen der Religionskriege, das ist wieder alles präsent, bis zum Inquisitionsprozess und der Wiederkehr der Folter. Das geschieht im Zentrum der Macht, im aufgeklärten Westen. Das sind Dinge, die mich derart beunruhigen, dass ich im Augenblick glaube, dass man unwillkürlich nach einer Landkarte sucht, einer Orientierung in dieser Bedrohung. Wobei umgekehrt verblüffend ist, wie die deutsche und die französische Regierung standhaft an dem alten Wirklichtverhältnis, das ja nach wie vor Hoffnung verbreitet, festhalten. Ich bin positiv erstaunt darüber, wie beharrlich der Widerstand bleibt.

- Das ist alteuropäisch.

Das alte Europa hat eine Art Schutzimpfung hinter sich. Ausgelöst durch etwas giftiges, nämlich die Religionskriege und den Dreißigjährigen Krieg, und den Faschismus im zwanzigsten Jahrhundert. Von den Schrecken des Krieges hat Europa eine Vorstellung.

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