Mein Lieblingsautor bin ich selber

Quelle aus:Alexander Kluge - Facts & Fakes 5 -Einar Schleef - der Feuerkopf spricht, S. 12 ff. | | Leseproben

[eingeblendet eine Bühne, ein breiter hellbrauner Rahmen angeleuchtet in einem warmen gelben Licht vor dunklem Hintergrund, sehr klein einzelne Darsteller, die Frauen, hervorstechend durch helle Kleidung / die Bühne wird hell, die Darsteller sind dunkel gekleidet]

Was ist dramatisch? / Was ist der Unterschied zwischen einem Unfall und einer Tragödie? / Was hat die Oper mit Göttern zu tun? / Schleef, einer der besten Regisseure Europas, über seine Lieblingsthemen - -

MEIN LIEBLINGSAUTOR BIN ICH SELBER

Einar Schleef über Drama, Tragödie, Oper und Kitsch


Kluge: Ihr Programm heißt 20 Opern, 80 Chorwerke und der Gesamtzyklus von Schiller, Hochhuth, usw. Wer sind Ihre Lieblingsautoren?

Schleef: Mein Lieblingsautor bin ich selber.

Kluge: Worin besteht eine dramatische Qualität? Was ist ein Drama?

Schleef: Wenn zwei sich kloppen, das ist Drama.

Kluge: Was ist eine Tragödie? Was ist tragisch?

Schleef: Wenn einer auf der Strecke bleibt, ist es eine Tragödie. Tragisch ist es, wenn wie bei Orpheus bei beiden Figuren die Beweggründe des Sterbens verschlossen sind. Da berührt sich Glucks Ehe- oder Paarszene mit Bergmann, denn Orpheus wie Eurydike ist verschlossen, warum sie da sind. Sie können darüber nicht diskutieren, wenn sie es tun und sich ansehen, sind sie des Todes und das wird von der Frau bei Gluck erbarmungslos gegen den Mann geführt und plötzlich bekommt man Mitleid mit dem Mann, weil der so unter der Fuchtel dieser Frau steht, aber natürlich geht voraus, daß Orpheus zugelassen hat, daß sie stirbt. Das kann man überhaupt nicht getrennt sehen, zumindest in der Endszene ist die Frau furchtbar, denn sie kapiert ja nicht, was der Typ will. Sie schreit immer: du liebst mich nicht, du liebst mich nicht, dreh dich um, dreh dich um.

Kluge: Das sagt sie?

Schleef: Ja, ununterbrochen. Dann dreht er sich um und weiß: wenn es die Götter gibt, ist das ihr Tod. Er weiß aber schon, daß es die Götter gibt und er weiß auch, daß sein Leben dann auch am Ende ist. Das wird zweimal im Text behauptet, er bringt sich um oder er stirbt, aber praktisch hört man es gar nicht. Fakt ist, nachdem er das Tabu gebrochen hat, ist sein Leben beendet, und dann kommt bei Gluck Amor und sagt, das ist alles anders, wir fangen von vorne an. Zumindest gibt es zwei Personen, die aneinander sterben, die nichts Positives entwickeln können, sondern zugrunde gehen.

Kluge: Was ist Kitsch?

Schleef: Ein Großteil meiner Arbeit ist Kitsch.

Kluge: Was bezeichnet man als Kitsch?

Schleef: Es nicht angemessen formulieren zu können.

Kluge: Und es zuzugeben?

Schleef: Ja, ich kann das nur auf meine Arbeit beziehen, es ist quasi Gedankenschwäche.

Kluge: Hält ein großes Kunstwerk eigentlich seine Verstümmelung aus? Wäre es möglich, daß z.B. Jacques Offenbach den Ring der Nibelungen in seiner kleinen Baracke in Paris nachinszeniert und völlig veralbert, nie Wagnersche Musik benutzt und trotzdem bleibt etwas von Wagner übrig? Noch in der Ruine bleibt etwas übrig?

Schleef: Sicher. Weil das Material auch einen Eigenwert hat.

Kluge: Es gibt ein Ruinengesetz in der Kunst, das besagt: ich kann ein Kunstwerk daran feststellen, daß es durch nichts kaputt zu machen ist.

Schleef: Das ist richtig, aber die Texte oder die Ansammlung von Stoff müssen dann auch massiv sein.

Kluge: Grippewelle Februar. Im Mainzer Stadttheater sind sieben Sänger voll verschnupft. Der Troubadour von Verdi wird aufgeführt. Das kann ein Kunstwerk sein. Kritiker sagen, es wäre schlecht gesungen, weil alle verschnupft gewesen wären. Und Sie sagen, gerade der Schnupfen in der Stirnhöhle bringt einen wunderbaren Resonanzkörper zustande.

Schleef: Ich habe vor langer Zeit in Mainz Tristan und Isolde gesehen. Es fing scheußlich an und es blieb scheußlich, zwei Stunden lang, und in der dritten Stunde wollte man schon aufgeben. Es waren in meinen Augen schreckliche Figuren auf der Bühne, ein schreckliches Bühnenbild und ein schreckliches Orchester. Aber eigenartigerweise gab es im Zuschauerraum nicht diese Haltung, die ich hatte, dieses Elitäre, Ablehnende. Da hatte sich irgendetwas aufgebaut. Dann kam der Schluß von Tristan und Isolde in Mainz und ich habe so etwas Traumhaftes nie wieder erlebt.

Kluge: Nicht weil die so gut sangen oder irgendwas sich verändert hatte, ...

Schleef: Nein, diese Herrschaften unten im Orchester fingen an zu schwitzen, denen oben lief die Farbe runter, es war unappetitlich, traf aber die Musik. Da war ein kleiner Tristan, eine sehr dicke Isolde und die gaben das letzte, was sie konnten, und das war traumhaft. Am Ende haben alle ganz frenetisch geklatscht, weil man dachte, das gibt es gar nicht, das kann gar nicht sein. Das hatte mit dem Bühnenbild zu tun, in dem auf einmal drei, vier Figuren im Halbdunkel standen. Man sah nur noch die Brust und auf einmal fingen die an zu schreien. Das wäre in Bayreuth undenkbar.

Kluge: Wann sind Sie das erste Mal in Ihrem Leben in einem Opernhaus gewesen?

Schleef: Ein Opernhaus gab es bei uns zu Hause nicht, es gab das Schützenhaus, und da wurden auch Opern gespielt. Ich glaube Lortzings Wildschütz habe ich da gesehen.

Kluge: Wenn Sie mir ein Opernhaus nach Ihrer Vorstellung beschreiben, wie würden Sie es bauen? Wenn Sie einem Marsianer Opern vorspielen sollten? Ein Opernhaus des 20. Jahrhunderts, woraus besteht das?

Schleef: In meinem Buch habe ich versucht zu beschreiben, was das Proszenium ist, also diese Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne, die von Wagner für Bayreuth entwickelt wurde und die heute in jedem Kino zu finden ist. Auch der Zoopalast hat letztendlich ein Bayreuther Proszenium, das ist eine ganz eigenartige Mischung des Übergangs mit so einer halbhohen Bühne und diesem zugespitzten Portal. Die traditionelle italienische Oper geht von den Logen bis zum Portal, dann bricht der Logenbau mit so einer kleinen Kante ab, und dann kommt der große Vorhang. Das ist in Bayreuth vollkommen anders gelöst.

Kluge: Was macht Wagner da? Was ist das Proszenium?

Schleef: Wagner versucht diesen Übergang zu verschleiern, indem es z.B. kein Orchester gibt.

Kluge: Das ist in der Versenkung, im Untergrund verschwunden, es versteckt sich.

Schleef: Das hat aber auch einen inhaltlichen Grund, der für den Sänger von Bedeutung ist: wenn da vorne ein Orchester ist und ein Dirigent, und ich sterbe auf der Bühne, dann sterbe ich mit Blick auf den Dirigenten. Das geht aber nicht, denn die antike Figur, die Wagner angerufen hat, kann keinem Dirigenten gehorchen, sondern allein den Göttern. Deshalb darf sie sich nicht nach dem Taktstock richten.

Kluge: Das wäre nach Gluck, Wagner und Schleef wirkliche Oper, während die italienische Oper nur die Vorstufe dazu ist?

Schleef: Nein, aber man sich heute mit dieser Opernauffassung von Wagner auseinandersetzen, daß da kein Orchester ist. Das Blöde ist, daß in den anderen Aufführungen der Walkürenhandlung ununterbrochen ein Orchester davor steht. Das kann einfach gar nicht stimmen. In der Walküre haben wir einen Tisch und eine Frau, die da sitzt. Plötzlich geht die Tür auf, es kommt ein Mann, und dann treiben die auf dem Tisch. Dann, nach 45 Minuten, nach der Ermattung, stellen sie fest, daß sie Geschwister sind. Mit einem vorgesetzten Orchester kann das nicht klappen, und deshalb funktionieren die Themen bei Wagner heute nicht mehr.

Kluge: Sie würden dies auseinandernehmen, auseinanderlegen in die Elemente? Sie würden z.B. Regieanweisungen von Wagner, die hinreißend sein können, separieren von der Musik?

Schleef: Zumindest muß der Dirigent weg, obwohl man ihn braucht. Aber er darf nicht davor gesetzt werden. Die Walküren können nicht nach einem Dirigenten schreien, das geht nicht, weil die gottnahen Figuren keinem Menschen gehorchen.

Kluge: Im Grunde glauben Sie gar nicht an das Theater, Theater ist fake, Sie glauben an wirkliche Verhältnisse, Flüsse, Kommentare, Geist ...

Schleef: Nein, aber wenn Götter auftreten, muß man ihnen doch ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Welt zusprechen. Wenn man die Götter und ihre Kraft nicht abbilden kann, kann man auch keine antike Tragödie spielen, denn die antike Tragödie kann nur unter dem Walten von Apoll, Zeus, Artemis usw. stattfinden, erst dann kann die Tragödie sein. Wenn die Götter nicht da sind, dann gibt es auch keine Tragödie, dann gibt es die bürgerliche Wohnstube, das, was wir haben, und dazwischen ist ein kleiner Tisch mit einer Kaffeetasse und wir geizen uns an. Wenn die Götter da sind, schweben die über uns oder im Keller, sie sind anwesend.

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