Die Fernseharbeiten

... erinnern wir uns: Oberhausener Manifest 1962. Der "Junge Deutsche Film" wird aus der Taufe gehoben. Einer seiner Ziehväter: Alexander Kluge. Sein ihm seither angeheftetes Erkennungszeichen: der Vordenker. Das ist er geblieben. Aber Kluge war und ist nicht nur dieser Vordenker, er war und ist Praktiker. Er experimentiert seit der Gründung der Filmabteilung 1963 an der Hochschule für Gestaltung in Ulm mit Kurzfilmen, seit 1965 mit großen Kinofilmen, seit 1988 im Fernsehen, mit 10 vor 11 und Primetime/Spätausgabe bei RTL, mit News & Stories bei SAT.1, mit dem Mitternachtsmagazin bei VOX...

... Hierbei handelt es sich um die ungewöhnlichsten und stilistisch aufregendsten Kultursendungen, auf die sich einzulassen fast jedesmal zur Überraschung wird...

... Seine Interviews und Portraits arrangiert Kluge so, daß er als Fragender erkennbar, aber meist im Hintergrund bleibt. Er nimmt sich die Zeit, die er den Befragten gibt. So erzählen sie mehr oder anderes als ihr öffentlich bekanntes Werk. Durch Nähe und einen hohen Grad an Privatheit entsteht Werkstattatmosphäre. Im Spannungsfeld zwischen Dialog und Film-Montage vermeidet er das Massenmedial-Gestanzte. Mit dem Blick auf die scheinbaren Nebensachen, auf Produktionsbedingungen, auf leitende Begriffe und halbbewußte Vorstellungen, auf - wie er es oft nennt - Unterscheidungsvermögen, wird die Zeit und Energie verwertbar, die in den Produkten steckt. Tote Arbeit wird lebendig. Immer wieder werden Geschichten nacherzählt, noch einmal erzählt, anders erzählt, wird auf diese Weise der eigene Blickwinkel der Befragten auf einen Vorgang hin deutlich und relativiert...

... Es gibt Sätze und Bilder in diesen Sendungen, die sich immer wieder aufnehmen und jedesmal neu, anders, tiefsinniger, weiträumiger verstehen lassen. Sie verbinden sich mit erweiternden Kontexten und verstärken dadurch in uns selbst angelegte Eigentätigkeit - wir gewinnen Zeit. Hier arbeitet Kluge im Sinn des Relationalismus, der Beziehungskunst; er organisiert sein Kulturmagazin so, daß Zeitgewinn angeboten wird, indem überraschende Zusammenhänge sich herstellen lassen...

... Dann wieder teilen sich die Bilder auf in Einzelbilder, Verdoppelungen, Bild im Bild, Sektoren und Segmente, Bilder wie auf einer sich drehenden Litfaßsäule. Computeranimierte Szenen bauen sich auf, bauen sich um, treten in Korrespondenz zu Filmsequenzen, zu einem Gemälde, und so entsteht aus der immer sichtbaren Produziertheit der Sendung für den Zuschauer die Beziehungs- und Verknüpfungskunst zwischen den Bildern und Tönen und Worten...

(aus: "Fernsehen ohne Ermäßigung", D. Jeuck u. G. Vogt in AUGENBLICK, Heft 23, August 1996, Schüren-Presseverlag, Marburg)

Alexander Kluge:
"Ich versuche, in den Kulturmagazinen vor allem den Originalton der verschiedenen Kulturbereiche zu treffen. Das ist das, was ich unter Vielfalt verstehe.

Das Fernsehen hat die Eigenart, alles in der Welt in eine einheitliche TV-Sprache zu bringen (zu "homogenisieren). Oper, Avantgarde-Film, Autoren wie Heiner Müller, Durs Grünbein, Franz Kafka, Dr. Josef Vogl sind aber gerade deswegen sendenswert, weil jeder einen ganz verschiedenen, unverwechselbaren Ausdruck besitzt. Das ist in den Interviews mein Interesse.

Das ist aber auch in der Musik (von Opern bis Techno) oder bei den Bildern so: nur die Vielfalt interessiert mich. Selbstverständlich weiß ich, daß das nicht die Mainstream-Auffassung im TV ist. Das kann sich aber in den neuen Zielgruppen des digitalen Pay-TV sehr rasch ändern.

Im Kino des 20. Jahrhunderts hat der "Autorenfilm", zu dem ich gehöre, eine besondere Bedeutung. Er hat vermutlich mehr zur Filmgeschichte beigetragen als der Konfektionsfilm, auch wenn sich seine Erfolge über die Filmgeschichte verteilen.

Warum soll es nicht ein "Fernsehen der Autoren" geben können? Wenigstens in homöopathischer Dosis, wie in den Kulturmagazinen der dctp? Es sind übrigens die einzigen Kulturmagazine im privaten TV. Sicher keine Überdosierung..."

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