Zum Hauptinhalt springen

Über die Dialoge zwischen Heiner Müller und Alexander Kluge

Von Thomas Combrink | | Texte

Zum 20. Todestag des Dramatikers am 30. Dezember 2015

Schaut man sich die Gespräche zwischen Heiner Müller und Alexander Kluge an, so bemerkt man die Bedeutung des Ungesagten. Es handelt sich um visuelle Dialoge. Heiner Müllers Sprache findet eine Erweiterung in der Art, wie er den Kopf dreht, wie er an der Zigarre zieht, wie er mit den Händen gestikuliert. Sein Gesicht bleibt dabei gleich, schwankend zwischen lächelndem und ernstem Ausdruck. Die Bedeutung des Gesagten wird von Müller durch Pausen unterstrichen. Es ist die Art, wie er die Antwort verzögert, wie er sich Zeit nimmt für die Formulierung einzelner Sätze, die den Reiz der Gespräche ausmacht. Man kennt das nicht aus dem Fernsehen, wo die Leute sich kurz fassen, damit keine Sendezeit verschwendet wird. Bei Kluge hingegen findet sich eine naturalistische Herangehensweise im Sinne von Heinrich von Kleists Vorstellung von der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden. Während man im Fernsehen den Leuten nicht beim Denken zusehen kann, man eher auf vorformulierte Aussagen trifft, erlebt man in Kluges Interviews häufig Menschen, die eine Idee oder Vorstellung während des Gesprächs entwickeln. Der kreative Prozeß wird transparent.

Es handelt sich um Gespräche der Verlangsamung. Heiner Müller wirkt ruhig, gelassen, fast stoisch. Der Alkohol- und Tabakkonsum während des Gesprächs deutet allerdings darauf hin, daß die Ruhe äußerlich ist, in ihm sich starke Energien befinden. Dieser Eindruck entsteht auch durch die kaum wechselnden Gesichtszüge und die gleichmäßige Stimme, das Abwägen der Worte und Sätze. Heiner Müller wirkt authentisch, nicht angepaßt an das Medium Fernsehen. Zwischen privater und öffentlicher Rede scheint es keinen Unterschied zu geben. Die Dialoge erwecken den Eindruck, als würden sie auch so geführt werden, wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Es handelt sich um inszenierten Originalton.

Gegenüber Alexander Kluges Kinofilmen oder auch den Büchern sind die Interviews stärker von der Kategorie des Zusammenhangs geprägt. Es finden sich kaum Brüche oder Lücken. Das Fernsehgespräch läuft fast in der Zeit ab, in der es auch aufgenommen wurde. Manche Dialoge sind in der Wohnung von Alexander Kluge geführt worden, andere wiederum in öffentlichen Einrichtungen. Man sieht Menschen im Hintergrund, man hört Geräusche und Stimmen. Dabei geht es um die Prinzipien von Konzentration und Zerstreuung. Stille in einer Gesprächssituation kann dazu führen, daß die Sprecher sich gehemmt fühlen. Ein leichter Geräuschpegel dagegen, hervorgerufen durch Menschen, kann die Dialogpartner anregen, weil sie den Eindruck haben, nicht allein zu sein. (Obwohl bei den Sendungen, die in Kluges Wohnung aufgenommen wurden, sich mindestens vier Leute, also zusätzlich Kameramann und Toningenieur, im Raum befinden.)

Man könnte die Gespräche mit Heiner Müller auch als Ideenmagazine verstehen, als Sammlung von Erkenntnissen. Im Dialog „Heiner Müller über Rechtsfragen“ kommt Müller auf die Metapher im elisabethanischen Zeitalter zu sprechen. Er zitiert Lichtenberg mit dem Satz „Die Metapher ist klüger als der Autor“ und auch Gertrude Stein mit der Aussage „Es bewegt sich alles so sehr“. Die Vorstellung, die Heiner Müller für die Verwendung von Metaphern nennt, ähnelt Kluges Idee vom antagonistischen Realismusbegriff. Kluge meint, daß der Protest eine realistische Verhaltensweise auslöst. Für Heiner Müller stellt die Metapher eine Reaktion auf eine Wirklichkeit dar, die nicht mehr begrifflich zu erfassen ist. Dazu gehört die Vorstellung der Beschleunigung. Die Rasanz der Entwicklung im elisabethanischen Zeitalter führt, laut Müller, zur Verwendung von Metaphern, als „Sichtblende gegen zu viele Eindrücke“. Auf Kluges Frage, was für Müller eine Metapher wäre, sagt er in dem Gespräch „In den Ruinen der Moralität tätig“, daß die Antwort schwierig sei, er aber für die Berliner Mauer die Bezeichnung „Stalins Denkmal für Rosa Luxemburg“ passend findet.

Für Heiner Müller geht es um die Formulierbarkeit von Erfahrungen, um den Zusammenhang zwischen Sprache und Realität. Krisenzeiten spielen eine Rolle. Wie artikulieren sich Menschen, die nicht in Einklang leben mit ihrer Wirklichkeit? Welche sprachlichen Mittel gebrauchen sind? Je größer die Not ist, desto kürzer werden die Sätze. Lakonie ist eine Reaktion auf den Druck der Realität. Das Leid kann zum Verstummen der Subjekte führen – oder zur Verwandlung. Thema der Gespräche zwischen Heiner Müller und Alexander Kluge ist Ovid und dessen Metamorphosen. Der Realitätsdruck geht über den sprachlichen Bereich hinaus, für die Subjekte ergibt sich ein Ausweg durch die Änderung der Gestalt. Was Kluge und Müller verbindet, ist die Methode Walter Benjamins. Es sind dialektische Bilder, die im Zentrum stehen. Es geht um den Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man könnte auch vom Akupunkturprinzip sprechen. Kluge und Müller bewegen sich auf Meridianen, auf Bahnungen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbinden sollen. Die Auswahl historischer Ereignisse ist wie der Stich der Akupunkturnadel.

Heiner Müllers Vorstellungen von der Beziehung zwischen Realität und sprachlichem Ausdruck finden sich in dem Gespräch „In den Ruinen der Moralität tätig“ wieder. Hier spricht er von der „kristallinen Form“ bei Tacitus. Er sagt: „Und dieser Lakonismus und dieser Manierismus, ist ja auch nur vielleicht eine Form, die es ermöglicht, Erfahrungen, die einen sonst sprachlos machen, noch mitzuteilen in Sprache. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Daß der Erfahrungsdruck, unter dem Tacitus da steht, auch wenn er persönlich nicht in diesen Situationen gewesen ist, wie Seneca oder so, aber der Erfahrungsdruck war so stark, daß diese kristalline Form nötig war, um die Erfahrung überhaupt zu formulieren.“ Mit „kristalline Form“ bezieht sich Heiner Müller auf eine stark verdichtete Sprache. Wie bei der Metapher geht es darum, Erfahrungen zu bündeln. Dabei ist die Grenze zwischen dem Mitteilbaren und dem Unsagbaren entscheidend. Die Sprache dient der Orientierung; um die „kristalline Form“ zu verwenden, muß es einen Abstand geben zum Geschehen. Die Menschen, die bei dem Konzert der Eagles of Death Metal im Pariser Club Bataclan anwesend waren, konnten um Hilfe rufen, aber sicherlich nicht die Erfahrung des Attentats in adäquater Form wiedergeben. Müller sagt auch, daß Tacitus eher ein Beobachter war, „persönlich nicht in diesen Situationen gewesen ist“.

Heiner Müllers Beschreibung von Tacitus Methode betrifft das literarische Verfahren von Alexander Kluge. Lakonie, Verkürzung, die „kristalline Form“ sind Merkmale seiner Schreibweise. „Was ganz schwer auszumachen ist, ist der Übergang von der Chronik zur Literatur bei Tacitus“, meint Heiner Müller ebenfalls in dem Gespräch „In den Ruinen der Moralität tätig“. Er bezieht sich damit auf die Differenz zwischen sachlicher und ästhetischer Formulierung. In Kluges Worten würde man vom Unterschied zwischen „Facts“ und „Fakes“ sprechen. Man könnte auch den Gegensatz zwischen Information und Erzählung heranziehen.

Von besonderer Bedeutung in der Zusammenarbeit zwischen Heiner Müller und Alexander Kluge sind die späten Gespräche, in denen es um Müllers Krankheit geht. Müller wirkt bei der Beschreibung seines körperlichen Zustands sachlich. Er schildert, wie er wieder Sprechen lernte. Er trägt das Gedicht „im spiegel mein zerschnittener koerper“ vor. Er liest die Verse ohne Pathos, obwohl es um ein existenzielles Thema geht. Die Operation habe zwar sein Leben gerettet, die Frage ist für ihn aber „wozu“: „fuer ein kind eine frau ein spaetwerk“. Müller verwendet die „kristalline Form“ bei der Beschreibung seiner körperlichen Verfassung. Es hat den Anschein, als habe er Abstand zu dem Geschehen, als stünde die Krankheit nicht im Zentrum.