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Neue Geschichten zur Wende 1989 | Zum 25. Jahrestag

Quelle BR - Bayern 2 Radio | | Aktuelles

Herbst 1989. Was geschah in jenen Tagen? Was tat sich vor und hinter den Kulissen der Politik und im Innern der Menschen? Alexander Kluges Blick auf die Welt wurde soeben mit dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet. Erzählen sei ein Ventil für das "Nadelöhr der Wahrnehmung". Wörter waren nie die Sklaven der Menschheit, sondern eine Dauer-Revolte, das Parlament der Geister im menschlichen Gehirn. Exklusiv für "radioTexte - Das offene Buch" schrieb der Georg-Büchner- und soeben frisch gekürte Heinrich-Heine-Preisträger 2014 literarische Miniaturen zum geschichtsträchtigen Jahr 1989.

Alexander Kluge, der Schriftsteller mit dem besonderen Blick

"Ohne Schere im Kopf montiert Alexander Kluge subjektive Erfahrungen und authentische Materialien zu Kunstwerken, die ins Staunen versetzen und die moderne Existenz zugleich spiegeln und herausfordern. Als wichtiger Vertreter der kritischen Theorie knüpft er an das poetische, publizistische und politische Schaffen Heinrich Heines an."

Begründung der Jury für die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises 2014

 

Solche Kunstwerke en miniature sind am Sonntag, dem 26. Oktober, um 11 Uhr in "radioTexte - Das offene Buch" zu hören. Neu verfasste Geschichten zur Wende, geschrieben von Alexander Kluge, gelesen von der Grande Dame des Deutschen Films, Hanna Schygulla, und dem Schriftsteller selber.

"Aus der Realität herausgefallene Wahrheiten"

Fundstücke aus der Realität, dem Alltag. Geschichten, die vergessen werden, wenn man sie nicht dokumentiert, die aber dennoch unmittelbare Geschichte ausmachen, Geschichte(n) von unten, hinter den Kulissen. "Jeder Neuanfang setzt ein Ende voraus". Alexander Kluge interessieren die Geschichten hinter der Geschichte. Der frisch gekürte Heine-Preisträger erzählt von der aufregenden Zeit im Herbst 1989, spielt mit den Möglichkeiten, lässt neben Ingeborg Bachmann, die eine Nacht lang die DDR-Grenzposten "verwirrt", auch einfache Leute auftreten, Handwerker, die versuchen, zu reparieren, was zu reparieren ist.

"Die Wirklichkeit ordnet sich nur unter, wenn man sie sich ausdenkt" - und auch das nicht immer

Alexander Kluge 1985 | Bild: picture-alliance/dpa

Alexander Kluge 1985

"Wer die Massaker nicht erinnert, pflegt sie." Fast alle Werke des Intellektuellen Alexander Kluge thematisieren jüdisches Leben und die Lebensbedingungen in der Nachkriegszeit, die Zeit des Nationalsozialismus, des deutschen Wirtschaftswunders, die vom linksextremen Terrorismus geprägten 70er Jahre und die Wende 1989. Was geschah in jenem Sommer und den Monaten danach? Während sich 1989 in Ostberlin der Honecker-Staat auf die 40. Jahresfeier der Deutschen Demokratischen Republik vorbereitete, verließen zehntausende DDR-Bürger das Land. In Leipzig, Berlin und Dresden kam es zu den ersten Massendemonstrationen seit 1953.

"Wörter sind das Parlament der Geister im menschlichen Gehirn - durchs Nadelöhr der Wahrnehmung"

Alexander Kluge | Bild: picture-alliance/dpa

2009 erhielt Alexander Kluge den mit 50.000 Euro dotierten Theodor-W.-Adorno-Preis

Alexander Kluge wurde am 14. Februar 1932 in Halberstadt geboren. Als Dreizehnjähriger erlebte er die Zerstörung seiner Heimatstadt. Diesen Luftangriff überlebte er knapp, zehn Meter vor ihm schlug eine Bombe ein. Nach der Trennung seiner Eltern zog er mit seiner Mutter nach Berlin-Charlottenburg, machte dort sein Abitur und studierte ab 1950 Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik.
Nach dem Bestehen des Assessorexamens ließ er sich 1958 in Berlin und später in München als Rechtsanwalt nieder. Kluge fing zu schreiben an, sein Mentor und Freund Theodor W. Adorno vermittelte ihm eine Assistenz bei Fritz Lang, Adorno hielt Schreiben für ein "abgeschlossenes Gebiet", im filmischen Erzählen liege die Zukunft.

Als die Bilder springen lernten - Opas Kino ist tot

Alexander Kluge | Bild: picture-alliance/dpa

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis 1967 für "Abschied von gestern": Ulrich Schamoni, Alexander Kluge (mit Frau) und Peter Schamoni

Kluge war infiziert vom Medium Film, er war einer der Initiatoren des "Oberhausener Manifests", einer politischen Unabhängigkeitserklärung junger deutscher Filmemacher, der Geburtsstunde des Neuen Deutschen Films. Opas Kino war vorbei. Ein paar Jahre später leitete er zusammen mit Edgar Reitz an der Hochschule für Gestaltung in Ulm die Abteilung Filmgestaltung und erhielt als erster deutscher Filmemacher 1967 den Silbernen Löwen der Filmfestspiele in Venedig für "Abschied von gestern".

Doch das Schreiben ließ ihn nie los. Schon 1962 las er bei der Gruppe 47, schreibt vor allem kurze Abhandlungen, Erzählungen. Die sachliche Präzision, die Kälte in den modernen gesellschaftlichen Institutionen sind immer wieder sein Thema. Für Kluge gibt es keine festen Schreib- und Denkmuster, er benutzt Montage- und Collagentechniken in allen Genres, Fiktion und Dokumentation werden verwoben. Oberstes Gebot für seine Kunst ist die Freiheit des Denkens, der Phantasie, der Assoziationen. Das alles zeichnet Alexander Kluges Werke aus, in seinen Büchern, in seinen Hörspielen, in seinen Filmen.

Alexander Kluges exklusive Miniaturen zum Dezember 1989

Zum Auftakt einer Reihe exklusiver Mauer-Geschichten renommierter Schriftsteller, von Jens Sparschuh, Antje Ravic Strubel, Yoko Tawada, und Jaroslav Rudiš, 25 Jahre nach dem Mauerfall und der Deutschen Einheit, lesen der Autor Alexander Kluge und die Schauspielerin Hanna Schygulla unveröffentlichte und für Bayern 2 geschriebene Texte. "radioTexte - Das offene Buch" am Sonntag, dem 29. Oktober, um 11 Uhr. Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche.